Sherlock Holmes - gesammelte Werke
der Verlobung abzuschicken. Der ist am nächsten Montag.«
»Oh, dann haben wir noch drei Tage vor uns«, sagte Holmes gemütlich. »Das trifft sich ja sehr glücklich, denn jetzt muss ich mich noch ein oder zwei wichtigen Angelegenheiten widmen. Hoheit bleiben doch fürs Erste in London?«
»Gewiss. Sie finden mich bei Langham unter dem Namen des Grafen von Kramm.«
»Dann werde ich also dorthin über unseren Erfolg berichten.«
»Ich bitte darum. Sie können sich meine Aufregung vorstellen.«
»Nun bleibt noch die Geldfrage zu erledigen.«
»Sie haben
carte blanche
.«
»Vollständig?«
»Eines meiner Schlösser wäre mir nicht zu viel für das Bild.«
»Und die augenblicklichen Ausgaben?«
Der Fürst zog ein dickes Portefeuille unter dem Mantel hervor und legte es auf den Tisch.
»Hier sind dreihundert Pfund in Gold und siebenhundert in Papier«, sagte er.
Holmes kritzelte eine Empfangsbescheinigung auf ein Blatt seines Notizbuchs und überreichte es ihm.
»Die Adresse der Dame?«
»Ist Briony Lodge, Serpentine Avenue, St. Johns Wood.«
Holmes notierte sie sich. »Noch eine andere Frage: War es ein Kabinettbild?«
»Allerdings.«
»Nun gute Nacht, Hoheit, und ich darf wohl die Hoffnung aussprechen, bald günstige Nachrichten senden zu können. – Gute Nacht auch, Watson«, fügte er hinzu, als die Räder des fürstlichen Wagens die Straße hinabrollten. »Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mich morgen Nachmittag um drei Uhr aufsuchen würden, ich möchte gern mit Ihnen über die Sache plaudern.«
II
Pünktlich um drei Uhr erschien ich in der Baker Street, aber Holmes war noch nicht heimgekehrt. Die Wirtin erzählte mir, er wäre kurz vor acht Uhr morgens fortgegangen. Ich setzte mich mit der festen Absicht an den Kamin, ihn unter allen Umständen zu erwarten. Der vorliegende Fall erregte mein höchstes Interesse, und wenn er auch nicht den schrecklichen, seltsamen Charakter trug wie die beiden Verbrechen, die ich schon früher aufzeichnete, gaben ihm doch die Natur der Sache und die erlauchte Persönlichkeit des Klienten ein ganz eigenartiges Gepräge. Nebenbei gewährte es mir stets aufs Neue ein Vergnügen, die klare, schlagende Logik meines Freundes zu beobachten und den meisterhaften Griff, mit dem er eine Situation erfasste. Ich war an das beständige Gelingen seiner Aufgaben so gewöhnt, dass mir die Möglichkeit eines Misserfolgs überhaupt nie in den Sinn kam. Kurz vor vier Uhr wurde die Tür von einem angetrunken aussehenden Reitknecht mit schlecht gekämmtem Haar und Backenbart geöffnet, das gerötete Gesicht und die nachlässige Kleidung machten entschieden einen heruntergekommenen Eindruck. Trotzdem ich die auffallende Geschicklichkeit meines Freundes in Verkleidungen kannte, dauerte es doch geraume Zeit, bis ich sicher war, ihn vor mir zu haben. Mit einem leichten Kopfnicken verschwand er im Schlafzimmer und erschien nach fünf Minuten elegant gekleidet und tadellos wie immer. Die Hände in den Taschen, streckte er sich behaglich vor dem Kamin aus und fing herzlich an zu lachen.
»Das ist wirklich gut!«, rief er und brach wieder in sein anhaltendes Lachen aus, bis er atemlos und erschöpft innehalten musste.
»Was ist denn los?«
»Es ist zu komisch. Sie erraten sicher nicht, womit ich mich heute beschäftigt habe und wie ich meine Tätigkeit beschloss.«
»Keine Ahnung. Vermutlich haben Sie Haus und Gewohnheiten von Miss Irene beobachtet?«
»Ganz recht, und ich habe allerlei Merkwürdiges erlebt. Lassen Sie sich erzählen. Ich verließ also als stellenloser Groom heute früh meine Wohnung. Ich sage Ihnen, unter diesen Pferdemenschen herrscht eine wunderbare Kameradschaft, ein wahres Freimaurertum. Gehört man zu ihnen, erfährt man alles, was man wissen will. Ich fand denn auch bald die Wohnung. Die zweistöckige Villa ist wirklich ein
bijou
, hinten dehnt sich ein Garten aus, während die Vorderseite des Hauses bis dicht an die Straße grenzt. Rechter Hand befindet sich ein geräumiges, schön ausgestattetes Wohnzimmer, mit großen, fast zum Boden reichenden Fenstern und jenem dummen englischen Fensterverschluss, den jedes Kind öffnen kann. Sonst war nichts Bemerkenswertes zu entdecken, höchstens die Möglichkeit, vom Dach des Kutscherhauses in das Flurfenster zu gelangen. Ich schlenderte die Straße hinab und fand richtig meine Erwartungen nicht getäuscht; in einem Gässchen, das sich an einer der Gartenmauern entlangzog, lag ein Pferdestall. Ich half den
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