Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
Vom Netzwerk:
fünfzig Yards entfernt, viel zu weit für einen sicheren Schuss. Bei meinem Revolver handelte es sich um eine für den Nahkampf konstruierte Faustfeuerwaffe. Aber ich bin ein treffsicherer Pistolenschütze. Ich drückte aus der fließenden Bewegung heraus ab. Mein Webley spie eine grelle Feuerzunge. Donner grollte.
    Volltreffer! Wie vom Blitz getroffen stürzte der Schuft zu Boden. In diesem Moment kam ich zur Besinnung. Was war, wenn Holmes sich geirrt und ich den falschen Mann erwischt hatte?
    Aber zum weiteren Nachdenken blieb mir keine Zeit. Die Reue musste ich mir für später aufheben. So schnell wir konnten hangelten wir uns an den Leitern nach unten. Der Maurer hatte sich inzwischen erhoben. Er humpelte mühsam auf seinen Fußlappen davon. Die Holzpantinen hatte er abgestreift. Kurz darauf holten wir ihn ein.
    Holmes packte den Schurken an der Schulter und riss ihn herum. Vor uns stand ein hinfälliger Greis mit runzligem Gesicht, kahlem Haupt und grauen Bartzotteln. Er blickte uns hasserfüllt aus wässrigen Augen an. Trotz seines physischenVerfalls erkannte ich ihn sofort wieder. Ich glaubte, meinem Verstand kaum zu trauen, aber es gab keinen Zweifel: Ich schaute in das verlebte Antlitz von Colonel Sebastian Moran. Colonel Moran, der ehemalige Stabschef von Professor Moriarty und der beste Großwildjäger, den das britische Empire je hervorgebracht hatte. Colonel Moran, der zweitgefährlichste Verbrecher Londons, der berüchtigte Falschspieler und Meisterschütze.
    Auch Holmes hatte Mühe, seine Überraschung zu verbergen. »Unsere letzte Begegnung liegt neun Jahre zurück [ 6 ] und endete für Sie mit dem unerfreulichen Schuldspruch
lebenslänglich
. Wie ist es Ihnen gelungen, der Gefängniszelle zu entkommen?«, wollte er wissen und fügte ironisch hinzu: »Sie saßen doch im Zuchthaus zu Reading [ 7 ] hübsch warm und trocken ein.«
    »Sie verdammter Hund haben mich angeschossen. Ich bin schwer verletzt und kann jeden Moment zugrunde gehen. Von mir erfahren Sie gar nichts«, lautete die wütende Antwort.
    Holmes bedeutete unserem Gefangenen, auf einer Kiste Platz zu nehmen. »Dr. Watson, der alte Menschenfreund, wird Sie verarzten, die Blutung stillen und Ihnen auf diese Weise das Leben retten, auch wenn Sie seine Fürsorge keinesfalls verdienen. Wie Sie sehen, bringt es durchaus Vorteile mit sich, wenn sich ein Mediziner als Reisebegleiter anbietet. Aber machen Sie bitte keine Dummheiten. Wir verfügen über schlagkräftige Argumente, die sehr überzeugend wirken können.« Mit diesen Worten zog er mir den Totschläger aus der Manteltasche und ließ die mit Blei gefüllte Lederbirne in seine linke Hand klatschen.
    Ich bückte mich, schlitzte mit meinem scharfen Taschenmesser das blutgetränkte Hosenbein des Colonels auf und untersuchte die Wunde. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ichsah, wie wenig Schaden meine Kugel angerichtet hatte. »Es ist nur ein Streifschuss, ein harmloser Kratzer. Bald können Sie wieder mit einer Ihrer Huren Walzer tanzen – doch diesmal unter dem Galgenbaum.« Ich goss etwas hochprozentigen Whisky aus meiner silbernen Taschenflasche über die Wunde, um sie zu reinigen, und verband die Verletzung mit einem sauberen Taschentuch. Der Colonel zuckte nicht mit der Wimper, obwohl der Alkohol bei ihm einen brennenden Schmerz verursacht haben musste. Das zeugte von großer Wut und unbändiger Willenskraft. Voller Besorgnis richtete ich mich rasch auf. Zu unserer Sicherheit nahm ich den Revolver wieder in meine Hand.
    Holmes fuhr fort: »Nun, Ihr Leben ist vorerst gerettet, also heraus mit der Sprache. Wer hat Ihnen ein Seil über die Kerkermauer geworfen?«
    Der Colonel grinste höhnisch. »Was mir geschehen ist, soll kein Geheimnis bleiben. Jeder darf es wissen. Im Jahr 1910, nachdem Georg V. zum König gekrönt wurde, ließ er eine Amnestie verkünden. Ich wurde wegen guter Führung begnadigt und entlassen.«
    »Sapperlot noch mal, es ist das gute Recht eines jeden Monarchen, ab und zu einen Fehler zu begehen. Aber was zum Henker treiben Sie in Deutschland? Hat Ihnen ein Konkurrent die Leviten gelesen und Sie als den König der Londoner Unterwelt gestürzt? Auf Ihr Altenteil werden Sie sich wohl kaum begeben haben, oder?«
    »Das müssen Sie schon selbst herausfinden«, meinte der Verbrecher verächtlich.
    »Nun gut, lassen wir es dabei bewenden. Nur eins noch: Weshalb haben Sie auf uns geschossen?«
    »Weil ich Sie bereits zweimal verfehlt hatte. Zuerst an den

Weitere Kostenlose Bücher