Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Titel: Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
Vom Netzwerk:
starrte immer noch voll Entsetzen auf diese Erscheinung, die beständig näher kam und ihr Lied beendete. Die Stille hing zwischen uns in der Luft.
    »Almosen? Almosen für ’nen Blinden?« intonierte er mit einem Mal und hielt mir die rasch gezogene Mütze hin. Ich tastete in meinen Taschen nach Wechselgeld.
    »Warum antworten Sie denn nicht, wenn man Sie anspricht?« fragte ich einigermaßen ungehalten. Ich schämte mich jetzt eines Impulses, dem ich beinahe nachgegeben hätte, nämlich, den Revolver aus meiner Reisetasche in der Droschke zu holen. Die Erkenntnis, daß dies albern und überflüssig gewesen wäre, da der blinde Sänger ganz ungefährlich war und offensichtlich nichts Böses im Schilde führte, stimmte mich noch ärgerlicher.
    »Ich wollt’ mein Lied nich’ unterbrechen«, erwiderte er, als verstünde sich das von selbst. Er sprach mit einem leichten irischen Akzent. »Wenn ich aufhör’ zu singen, dann zahl’n Se nich«, fügte er erläuternd hinzu und schüttelte leise die Mütze. Ich warf ein paar Pennies hinein. »Dank Euch, mein Herr.«
    »Aber gütiger Himmel, Mensch, wie können Sie in einer solchen Situation Ihren Geschäften nachgehen?«
    »Situjatsjon, mein Herr? Was für’ ne Situjatsjon meinen Se denn?«
    »Nun, diesen elenden Nebel!« erwiderte ich energisch. »Man kann ja seine Hand nicht vor den …« Ich besann mich und brach ab. Der Sänger reagierte nur mit einem Seufzer.
    »Oh, das isses also? Hab’ mich schon gewundert, warum alles so anders is. Hab’ heut morgen noch nich’ mal’n Shilling eingenommen. Nebel, was? Muß ja ’ne ganz schöne Suppe sein, wenn ich noch nicht mal’n Shilling einnehm’. Na ja!«
    Er seufzte erneut und schien um sich zu schauen, ein gespenstischer Anblick in Anbetracht seines Gebrechens.
    »Brauchen Sie Hilfe?« fragte ich.
    »Nein, nein – Gott segne Sie, mein Herr, für das freundliche Angebot. Für mich isses alles dasselbe, nich! Alles dasselbe. Dank’ schön, Meister.« Und damit griff er nach dem Geld, das ich in seine Mütze gelegt hatte, und ließ es in seiner Tasche verschwinden. Ich verabschiedete mich von ihm, und er schlurfte davon. Er brauchte seinen Stock, um sich voranzutasten – wie jeder andere Mensch inmitten dieses verfluchten Nebels auch –, und er sang wieder. Seine Stimme wurde immer leiser, während die undurchdringlichen Dunstschleier ihn verschluckten.
    Ich sah mich erneut um und rief noch einmal:
    » Holmes! «
    »Sie brauchen nicht so zu schreien, Watson. Hier bin ich«, sagte eine vertraute Stimme an meiner Seite.
    Ich fuhr herum und fand mich Stirn an Stirn mit dem blinden Sänger wieder.

KAPITEL SECHS

    Toby übertrifft sich selbst

    » Holmes! «
    Er lachte, riß sich die Perücke vom Kopf und entfernte die gleichermaßen falschen Augenbrauen und Warzen. Dann nahm er die dunkle Brille ab, und statt der toten Augen des Spielmannes grüßte mich Holmes’ heller, leicht amüsierter Blick.
    »Entschuldigen Sie, mein Lieber. Sie wissen, daß ich dem Theatralischen nie widerstehen kann, und die Umstände waren so perfekt, daß ich der Versuchung erlag.«
    Es nahm einige Zeit in Anspruch, den verängstigten Droschkenkutscher zu beruhigen, den die ganze Episode fast einer Ohnmacht nahe gebracht hatte. Schließlich gelang es uns, ihn zu besänftigen.
    »Aber wozu die Komödie?« beharrte ich, während Holmes sich niederbeugte, um den Hund zu liebkosen, der an ihm schnüffelte, glückselig mit dem Schwanz wedelte und die Schminke von seinem Gesicht ableckte. »Er ist auf und davon, Watson.«
    »Auf und davon? Wer?«
    »Der Professor.« Holmes stand auf, und seine Stimme klang erbittert. »Da, hinter Ihnen im Nebel ist sein Haus. Ich habe den Platz letzte Nacht selbst beobachtet (gewöhnlich tut Wiggins * das für mich), und bis Mitternacht war alles wie gewöhnlich.
    Es war rauh und naß, und ich ging zur Kneipe um die Ecke, um mich mit einem Brandy aufzuwärmen. Während dieser Zeit haben ihn zwei Männer aufgesucht. Was sie ihm mitgeteilt haben, weiß ich nicht, aber ich habe keinen Zweifel, daß es von ihm bezahlte Spione waren, die ihn vor mir warnen wollten. Als ich zurückkam, waren sie fort, und alles war wie zuvor. Dann, heute morgen um sieben, erhielt ich ein Telegramm von Wiggins. Irgendwann letzte Nacht, nachdem ich gegangen war und bevor er, Wiggins, meinen Platz einnahm, war der Professor verschwunden. Wie und wohin, müssen wir erst herausfinden. Ich kam in dieser Verkleidung, für den Fall, daß

Weitere Kostenlose Bücher