Sherlock Holmes und die Shakespeare-Verschwörung (German Edition)
gesucht hatte, den Schacht, der senkrecht nach oben in das nächste Stockwerk führte.
Eine Leiter, ein Königreich für eine Leiter, dachte Stephen Moriarty, als er mit Staunen sah, wie Myra zurücktrat, Anlauf nahm und nach oben sprang.
Das erste Mal verfehlte sie das Gitter, das den Schacht absicherte, und fiel hart nach unten. Aber sie gab nicht auf. Nach einer Pause, in der sie tief Atem holte, versuchte sie es erneut und konnte sich schließlich mit den Händen an den Stäben des Metallgitters festhalten.
Mit dem Rücken und den Beinen stemmte sie sich gegen die Steinmauern des Schachtes, mit den Händen drückte sie gegen den Rost, bis dieser nachgab und nach oben schwenkte.
Stück für Stück schob sie sich den Gang nach oben, bis sie verschwunden war.
So, das war es, stellte Stephen entmutigt fest. Er konnte ihr nicht weiter folgen, ohne ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Aber er mußte etwas unternehmen. Myra befand sich in akuter Lebensgefahr. Und er mit ihr.
»Die Zahl ist falsch, und wer die falsche Zahl eingibt, fliegt in die Luft«, rief Stephen Moriarty.
»Und du glaubst wirklich, daß ich auf diesen schwachen Trick reinfalle?«, fragte Myra, deren hübsches Gesicht in der Öffnung über ihm sichtbar wurde.
»Ich hoffe es sehr. In deinem Interesse und in meinem, denn mich erwischt es auch. Und im Interesse deines Sohnes Ashley. Warte auf mich! Machen wir es gemeinsam!«
»Du willst mich um die Frucht meiner Arbeit bringen. Ich traue dir nicht«, sagte die junge Wissenschaftlerin.
»Was kann ich tun, um dein Vertrauen zu gewinnen?«
»Wirf deine Waffe zu mir herauf. Schließlich ist es egal, ob du durch eine Explosion stirbst oder erschossen wirst.«
Stephen zog ohne Zögern seinen Revolver aus dem Holster und schleuderte ihn in den Raum, in dem sich Myra aufhielt.
Sie hatte sich auf den Bauch gelegt und zielte mit der Waffe auf Stephen, der keinen Schritt zurückwich.
»Das heißt, du vertraust mir«, sagte sie schließlich und zog den Revolver aus der Öffnung zurück.
»Hast du etwas anderes erwartet?«
»Was meintest du mit falscher Zahl?«, fragte Myra.
»Ich habe den richtigen Code im Kopf. Auf den Zettel, den du in meiner Taschenuhr gefunden hast, schrieb ich eine beliebige Zahl.«
»Das bedeutet aber«, überlegte Myra, »daß du mir nicht traust.«
Stephen sprang zu dem geöffneten Schacht und hebelte sich nach oben.
Etwas außer Atem sagte er zu Myra: »In diesem Punkt offenbar zu recht. Mein Mißtrauen war gegen den Archäologen oder etwaige Verfolger gerichtet. Jedenfalls sagte der Monsignore im Konvent zu mir: ›Dieser Zettel kann Ihnen weiterhelfen, er kann aber auch Ihren Untergang bedeuten‹. Es ist also Vorsicht geboten.«
»Wie heißt die richtige Zahl?«, fragte Myra.
Moriarty nahm Myra seine Waffe ab, schob die Frau beiseite und untersuchte die schwere Stahltür mit dem Ziffernkombinationsschloß.
»Auch die richtige Zahl ist eine Überlegung wert«, antwortete Stephen. »Ich glaube, sie ist nur ein Hinweis, aber nicht die endgültige Lösung.«
»Also auch tödlich.«
»Vermutlich.«
»Wie lautet sie?«
»Es ist das Geburtsdatum von James I.: 19061566.«
»Wenn auch diese Zahl falsch ist ... Wie sollen wir …«
»Laß uns überlegen. Religion spielt eine große Rolle. Alle Hinweise auf die Geheimkammer, die hinter dieser Tür liegen soll, fanden wir in Grabstätten von Kirchen. Stratford, Westminster Abbey, Petersdom. Für sehr gläubige Menschen ist nicht der Tag seiner biologischen Geburt von Bedeutung, sondern der Tag …«
»... der Taufe«, ergänzte Myra atemlos. »James wurde am 22. Juni 1566 in diesem Schloß getauft.«
»Bist du sicher, Myra? Noch nie war ein Datum so wichtig für das Leben von Menschen.«
»Ich bin mir sicher.«
Stephen Moriarty tippte die Ziffern in das Schloß und wich unwillkürlich einige Schritte zurück. Myra und er hielten den Atem an.
Einen Augenblick später vernahmen sie ein metallisches Klicken, und die Tür sprang auf.
Obwohl fensterlos, wurde der Tresorraum indirekt mit Tageslicht und wohl auch Frischluft versorgt. Ein handbreiter Spalt knapp unter der Decke sorgte dafür.
Staunend blickten sie in den Tresorraum, in dessen Mitte ein Tisch stand. Links und rechts davon waren Bündel von bedrucktem Papier gestapelt.
Vor dem Tisch, auf einem Sessel, sahen sie etwas, das ihnen den Atem nahm.
Was Stephen Moriarty und Myra Hall sahen, war einerseits erschreckend, andererseits entbehrte es aber nicht eines
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