Shevchenko, A.K.
Juli beim Festival Capital EX die
Atmosphäre aufheizt, explodiert die Stadt in festlicher Stimmung. Hunderte,
die ihr Glück als Goldwäscher versuchen, tauchen in die verrückte Atmosphäre
des Goldrauschs von 1890 ein. Die
Einwohner Edmontons veranstalten Picknicks auf den Rasenflächen und lassen
sich Corn Dogs und Mini-Donuts schmecken.
Massenhaft versammeln sich die Menschen, um die
spektakulären Fontänen des Great Divide Waterfall and
Sourdough River Festivals zu bestaunen, wo um die Wette
Holzflöße den North Saskatchewan River hinunterschießen.
Wer den Massen entrinnen möchte, geht an der Glaspyramide
der City Hall und dem Chateau on the River- dem
eleganten, hundert Jahre alten Hotel Macdonald - vorbei in Richtung North
Saskatchewan River. Wenn man die River Valley Road weitergeht, sieht man am
Südufer den Campus der University of Alberta. Die Anlage ist beeindruckend -
die traditionellen roten Backsteinbauten der Fakultäten teilen sich das Gelände
mit den futuristischen weißen Bauten der Forschungszentren und Bibliotheken.
Die Juristische Fakultät gehört zu den ältesten der
Universität. Ihr Ruf gründet sich auf die Forschungseinrichtungen, die in
Kanada konkurrenzlos sind, und auf die höchsten Lehrstandards: Die Mitglieder
der Fakultät haben die Standardwerke für das juristische Grundstudium verfasst,
die nun im ganzen Land verwendet werden.
Vor drei Jahren stieß zum Kollegium der Fakultät eine neue
Dozentin dazu, über die in den Pausen zwischen Vorlesungen über Fallstudien
und Satzungsanalysen sofort diskutiert wurde. Sie hält Vorlesungen über Erb-
und Verwaltungsrecht - alles über die Abfassung von Testamenten, das Verfahren
der Testamentseröffnung, die Ernennung von Testamentsvollstreckern und deren
Pflichten. Ihre Vorlesungen sind interessant, da sie offenbar die praktische
Seite der Dinge kennt, nur stören sich manche Studenten an ihrem britischen
Akzent und ihrer Weigerung, Beispiele aus ihrer eigenen Berufserfahrung
beizusteuern. Manche bezeichnen sie als hübsch, andere nennen sie »Zombie«,
wegen ihres stumpfen Blicks und der Art, wie sie den ganzen Körper wendet,
nicht nur den Kopf, wenn man ihr eine Frage stellt. Ihre mühsamen Bewegungen
und das merkliche Hinken geben weiteren Grund zu Spekulationen. Ist es ein
Geburtsfehler, oder hatte sie einen Unfall? Sie lebt allein, mit einem Hund,
der ebenso rätselhaft wirkt wie sie selbst: Man sieht sie oft mit Proby, ihrem
Weimaraner, auf den Wegen des Emily Murphy Parks, in der Nähe des Campus.
Ich weiß, was sie über mich sagen. Ich hab es mehr als
einmal mitgekriegt. Die denken wohl, ich höre schlecht, weil ich den Kopf
nicht wenden kann. Aber das ist mir egal. Ich bin so, wie ich bin. Und es
gefällt mir hier ganz wunderbar. Ich fühle mich in Alberta fast wie zu Hause.
Da jeder zehnte Einwohner Ukrainer ist, findet meinen Namen hier niemand mehr
unaussprechlich. Ich liebe die anhaltende Junisonne, die das Fell meines Hunds
silbrig schimmern lässt. Ich liebe es, kilometerlange Spaziergänge zu machen,
am Ribbon of Green entlang, von einem Park zum nächsten, und zuzuschauen, wie
Proby zwischen den Espen verschwindet, mit ihrer silbergrauen Rinde
verschmilzt. Die Sommer hier sind lustig. Immer ist in dieser Stadt der Festivals
irgendetwas los: die Heritage Days, das Folk Music
Festival, das Fringe Festival, das Labatt
Blues Festival - es gibt viel zu sehen und zu hören. Ich mag auch
die Winter in Edmonton. Manchmal entfliehe ich samstags an dunklen
Winternachmittagen zur West Edmonton Mall. Da dies offenbar die größte Mall in
Nordamerika ist, kann man dort kilometerweit gehen. Es gibt dort sogar die
empfohlene Fußgängerroute in »sicherer und klimatisierter Umgebung«. Dann sehe
ich mir im Centre Fountain eine Modenschau an oder genieße beim Ice Palace
Andenmusik, betrachte die lachenden Gesichter der Passanten, sitze in einem
Cafe am Europa Boulevard. Manchmal nehme ich die LRT (die gleiche wie in
London) von der Universität zum Rexall Place, um mir ein Match der Edmonton Oilers
anzuschauen, und gehe anschließend zu Uncle Ed's. Dieses
Lokal bietet ziemlich gutes ukrainisches Essen und liegt nur zwanzig
Gehminuten vom Stadion entfernt, an der 118. Avenue.
Es gibt hier noch andere tolle Restaurants, wo ukrainische Pirogz'-Fans ihr
Lieblingsgericht bekommen. Manchmal hört man ältere Ukrainer in ihrer Sprache
bestellen. Mit starkem kanadischem Tonfall, mit Stimmen, die durch das Alter zu
heiserem
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