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Shevchenko, A.K.

Shevchenko, A.K.

Titel: Shevchenko, A.K. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein fatales Erbe
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das Gefährt. Der
Kutscher verschied auf der Stelle, die junge Frau erbleichte, atmete aber noch,
als wir sie fanden. Sie starb im Morgengrauen, ohne noch einmal gesprochen
oder die Augen aufgeschlagen zu haben. In der Kutsche fanden sich folgende
Gegenstände: Brokatkissen - fünf Hölzerne skrynja voller
Frauenkleider nach kleinrussischer Sitte
    Kleine Silberlöffel - zwei
    Schweinslederne Geldbörse mit fünfundzwanzig Goldtalern – eine
    Ein Buch des französischen Schriftstellers Francois-Marie
Voltaire: Geschichte Karls XII., Rouen 1731, eine
Seite mit Eselsohr versehen und zwei Zeilen unterstrichen: Die
Ukraine ist das Land der Kosaken zwischen der kleinen Tatarei, Polen und
Moskau. Sie strebt schon immer nach Freiheit.
     
    Hiemit verbleibe ich Ihr ergebener Diener
Dragoner-Kommandant Sweschnikow
     
    Taras faltet die Kopie des Berichts sorgfältig zusammen.
Er wird nie herausfinden, warum sie es taten. Für ihn ist der Fall N 1247 abgeschlossen.
    Ach, Sofia ..., denkt Taras. Du hattest es doch halb
geschafft! Aber die machen keine halben Sachen, nicht
wahr? Nachdem ich gelesen hatte, was sie dir angetan haben, wusste ich, dass
Kate die Nächste sein würde. Die Fotos, die Karpow mir zeigte, wurden von einem
Insider aufgenommen. Die wussten natürlich, wer sie war. Ich hätte nur noch
einen einzigen Tag gebraucht - um sie zu warnen, sie zu retten.
    Wie heißt das alte russische Sprichwort? »Es ist nur ein
Schritt von der Liebe zum Hass«.
     
    Niemand hat ihn gewarnt, dass es auch nur ein Schritt vom
Hass zur Liebe ist, ein simpler Schritt zu einem Mikroskop mit einer Rose in
einem Menschenhaar, zu einem Muttermal auf ihrem langen, anmutigen Hals. Er
erinnert sich an die Art, wie sie sich auf die Unterlippe biss, ihn unter ihren
Ponyfransen hervor anblickte. Und wie sich ihre Haut anfühlte, als er ihre Hand
berührte: straff, von innen erhitzt. Er wusste, dass er stark genug war,
heftigen Schmerz, Einsamkeit, Demütigung, vierundzwanzigstündige Verhöre mit
weißem Rauschen zu ertragen - aber auf das hier hatte ihn kein Training an der
Akademie vorbereitet. »Verlangen auf den ersten Blick«, hatte er ja schon
einmal erlebt, aber das löste Carmen bei allen Männern aus. Was er für Kate
empfand, war anders. Der leichte Schwindel, die warme Woge der Zärtlichkeit,
die ihn überspülte, die überwältigende Sehnsucht, sie zu umarmen, sie vor der
Welt zu beschützen. War es ihre Verletzlichkeit, die ihn auf Anhieb angezogen
hatte? Oder wurzelte dieses Gefühl in seiner eigenen Besitzgier, seinem Wunsch,
etwas zu besitzen, das zuvor Andrij besessen hatte - die gleichen Gefühle, das
gleiche Mädchen?
    Taras betrachtet Kates lächelndes Gesicht auf dem Foto,
fährt die Umrisse dieses Gesichts mit dem Finger entlang. Das Haar, das er nie
gestreichelt, die Lippen, die er nie geküsst hat. Er sieht das Funkeln in Kates
lächelnden Augen, sieht ihren seitwärts geneigten Kopf, ihre slawischen
Wangenknochen. Wie sehr sie der nebulösen Erinnerung an eine andere Frau
ähnelt! Der Frau, die immer bei ihm ist.
    Taras steht auf und zieht die schweren Vorhänge zu, wendet
sich ab von dem ungewöhnlich sonnigen Tag, von Sirenen und quietschenden
Reifen. Er sitzt im Dunkeln, mit dem Rücken zum Fenster. Trennt sich von
jenen, die zurückbleiben. Er erlaubt sich eine letzte Schwäche, eine letzte
Erinnerung.
    »Nie-e-se Ga-a-a-lya ... wo-o-odu ...« Er hört
die Stimme seiner Mutter. Sie singt ihm vor, lacht, trocknet sein Haar mit
einem Leinenhandtuch. Sie hätte ihn nie verlassen, das weiß er. Er vermisst
sie immer noch jeden Tag - ihre Berührung, ihren Duft, die Art, wie sie mit ihm
sprach, nicht von oben herab, sondern aus der Hocke, sodass sie auf Augenhöhe
mit ihm war. Taras erinnert sich, dass sie versuchte, nicht zu schreien, wenn
sein Vater sie in Anfällen betrunkener Eifersucht schlug. Sie wollte ihren
kleinen Jungen nicht wecken und ahnte nicht, dass er zusah, hinter dem geblümten
Vorhang versteckt.
    Er ist ein Feigling, endlich gesteht er es sich ein. Er
ist so erleichtert, dass er sich das heute, endlich, eingestehen kann. Er
hätte Hilfe holen sollen, auf seinen Vater losgehen, ihn beißen und treten
sollen, als der sie zu würgen begann - aber er hatte solche Angst! Als sein
Vater sie aus dem Zimmer schleifte, wurde die Welt ganz still - als wäre nichts
passiert. Seit damals hat Taras Stille gehasst. Radio, ein tropfender
Wasserhahn, weißes Rauschen - egal, nur bitte keine Stille.
     
    Zwei Tage nach

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