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Shevchenko, A.K.

Shevchenko, A.K.

Titel: Shevchenko, A.K. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein fatales Erbe
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zum
anderen. Wowtschik wünscht sich, dass Sie öfter
lächeln, lautete Tanjas Erklärung unter dem Bild, in sauberer,
runder Handschrift. Dieses Jahr wohnt er einen Monat lang bei mir - Tanja hat
alles arrangiert. Ich habe unsere gemeinsamen Tage mit militärischer Präzision
geplant: Wir haben bei Capital EX fast
sämtliche Fahrgeschäfte ausprobiert; morgen nehme ich ihn mit zum World
Waterpark, am Donnerstag fahren wir mit Proby zum Elk Island National Park, und
wenn wir Glück haben, sehen wir Bisons und Elche.
    Gestern hab ich Wowtschik zu erklären versucht, dass wir
dort vielleicht sogar ein Stachelschwein sehen werden: Ich hab ein Schweinchen
gezeichnet und ein Pluszeichen und einen Igel. Da ist Wowtschik in so
unbändiges Gelächter ausgebrochen, dass Proby ihm zu Hilfe eilen wollte.
Vielleicht kann ich Wowtschik am Donnerstag im Park eine Bildpostkarte kaufen,
damit er sieht, dass dieses Tier wirklich existiert!
    Von meinem Sofaplatz aus höre und sehe ich Wowtschik durch
die offene Tür des kleinen Schlafzimmers; er stößt grollende Laute aus, wie
ferner Donner, kickt die Decke weg, kämpft sogar noch im Schlaf. Ein kleiner
Mogli, der in einem Rudel lebte, das viel grausamer war als Kiplings Wölfe.
Ich habe ihm ein Bett gekauft, aber er schläft immer noch lieber auf dem Boden
- dort hat er einen Großteil der Nächte seines sieben Jahre langen Lebens
verbracht. Vermutlich ist er sieben, hat Tanja gemeint, vielleicht aber auch
acht oder sogar neun und einfach nur zu klein für sein Alter. Bis er nach
seinen umtriebigen Tagen auf die Matratze springt und die Augen schließt,
hinterlässt er eine Spur von Kleidungsstücken - seine Jeans auf dem
Flurteppich, seine Socken bei der Tür, sein T-Shirt zusammengeknüllt auf dem
Sessel, auf Babusyas mit roten und schwarzen Blumen
besticktem Kissen. Ich habe einige von Babusyas Sachen
hier in meiner Wohnung: zwei bestickte Kissen, ein Geschirrtuch, auf dem
Andrijs Fotografie steht, fünf Meißener Teetassen, durch deren zartes
Porzellan sich wie Adern blaue Linien schlängeln. All diese Schätze habe ich
vor zwei Jahren mit hierher gebracht, auf dem Rückflug nach Babusyas Beerdigung.
    Als ich durch ihr leeres Haus ging, diese Dinge
zusammensuchte und den Geruch von Babusyas Medizin
einsog, vermischt mit dem Duft getrockneter Blumen, wünschte ich mir innig,
dortbleiben zu dürfen, eingehüllt in meine Phantasiewelt, im Wintergarten mit
untergeschlagenen Beinen in Babusyas altem
Lehnstuhl zu sitzen und den Amseln im Garten zuzusehen bis zur Abenddämmerung,
bis meine Beine einschliefen, bis ich hungrig und durstig wurde - bis sie von
»irgendwoher« zurückkam. Zurückkehrte, um neben mir zu sitzen, gelegentlich
meine Hand zu berühren, geduldig all die Fragen zu beantworten, die ich ihr so
gern noch gestellt hätte.
    Es gibt nur ein einziges Thema, das ich Babusya gegenüber
nie hätte erwähnen sollen. Aber ich habe es getan und muss jetzt damit leben.
Ich kann es nicht ausradieren oder ungeschehen machen.
    Ich weiß nicht mehr, wie dieses Gespräch begann. Wir saßen
zusammen im Garten, ein paar Monate nach meiner Entlassung aus dem
Krankenhaus. An diesem Nachmittag genoss ich die letzte Wärme der
Septembersonne, den Duft der Pfefferminze, die zum Trocknen im Wintergarten
hing, die silbernen Spinnfäden des Altweibersommers, die uns zusammenbanden.
Zum ersten Mal seit Monaten wirkte die Welt nicht feindselig auf mich. Und so
erzählte ich Babusya von Andrij. Ich erzählte ihr von
Polubotoks Schätzen und dem neuen freien Land, das sie vor so vielen Jahren
hatte verlassen müssen. Von dem Leuchten der Kerzen im Kloster Lawra und von
den Skateboardfahrern auf dem Hauptplatz. Details, vom Gedächtnis sorgfältig
ausgewählt - die helleren, bunteren Teilchen eines Puzzles.
    Meine Großmutter hörte mir zu, wie sie es immer tat - die
rechte Hand unters Kinn gestützt, den Kopf leicht geneigt. Ich war gerade beim
beleuchteten Springbrunnen auf dem Hauptplatz angelangt, da stand meine
Großmutter auf, nahm meine Hand und führte mich in die Küche. Sie zog die
Küchentischschublade auf und holte ein Bündel Papiere heraus, die sie auf dem
Tisch ausbreitete. Rentenzahlungsbelege, Folgerezepte, ein abgelaufener
Gutschein für eine Müsliprobe - all die wichtigen Dinge, die den über Achtzigjährigen
als Eintrittskarten in die Welt dienen. Sie fand einen gelben Zettel und
reichte ihn mir, ohne irgendeine Erklärung. Als ich den Zettel
auseinanderfaltete, sprangen mich

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