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Shevchenko, A.K.

Shevchenko, A.K.

Titel: Shevchenko, A.K. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein fatales Erbe
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in verschiedenen Farben und Formen die
fremden kyrillischen Buchstaben an - auf dem Stempel winzig klein, kaum
leserlich, mit lila Tinte; auf dem offiziellen Formular kalte schwarze Lettern
und daneben ein Personenname, mit blauer Tinte in kalligraphischer, geübter
Schrift.
    »Das ist meine Geburtsurkunde«, sagte Babusya. »Das
Einzige, was mir bis heute geblieben ist seit dem Moment, als man mich in einen
Zug nach Deutschland stieß. Die einzige Erinnerung an mein Land, das einzige
Zeichen meiner Existenz, auf dem mein Mädchenname steht. Ich wusste, wenn dieses
Stück Papier überlebt, dann überlebe ich auch. Es gehört jetzt dir, Kate.« Sie
sagte das so eigenartig ... und ich ahnte es schon, bevor ich mir die
kyrillischen Buchstaben genauer ansah. Ich wusste es schon, bevor ich die
perfekten Rundungen der O hinzufügte, und am liebsten hätte ich »Neeeiiin!« geschrien, um zu verhindern, dass die Welt in meinem Inneren
zusammenbrach. Das hatte sie also immer gemeint, wenn sie sagte, ich hätte
einen kosakischen Geist.
    »Ich will es nicht haben, Babusya«, hätte ich
beinah gesagt. »Ich will es wirklich nicht wissen. Wie kannst du mir so etwas
antun? Ich habe diese Geschichte in einem anderen Land zurückgelassen, das
einst dein Land war. Ich habe die nach Mandarinen duftende Plastikmappe
weggegeben, den Fluch aufgehoben, das Versprechen erfüllt, und jetzt - schau
nur, da grinst mich von deiner gelben Geburtsurkunde höhnisch dieser Name an,
der Fluch des perfekt geschriebenen Namens eines kosakischen Hetmans, Sofias
Name und dein Name, Babusya. Wie kann
die Geschichte der Polubotoks deine Geschichte
sein? Und meine?« Beinah hätte ich all das gesagt.
Beinahe ... Aber der Tag war zu schön, die Welt war zu heiter, und so nahm ich
das Zertifikat an mich und bedankte mich bei ihr. Ich hatte vor, bald mit ihr
darüber zu reden, sehr bald, ich hoffte darauf, ich sammelte Kraft dafür - wenn
der Schmerz ein bisschen nachgelassen haben würde, wenn die Furcht ihren Griff
etwas gelockert haben würde, wenn die Erinnerungen schwarz und weiß sein
würden. »S'chowaj - versteck es, Kate«, sagte sie auf
Ukrainisch zu mir. »Welch passendes Wort, chovaty,« seufzte
sie. »In der Geschichte meines Landes geht es nur ums Verstecken. Wenn man mal
bedenkt: Selbst so wichtige Worte wie »großziehen« und »begraben« - wychowaty und pochowaty
- bergen auf Ukrainisch dasselbe Herz, dieselbe Angst.
Verstecken, verschließen, sich vor seinen Feinden schützen. Jetzt bist du an
der Reihe, Kate. Versteck es gut.«
    Ich habe Babusyas Geburtsurkunde
hier bei mir, verborgen hinter der ukrainischen Ikone, die ich mir aus ihrer
Wohnung mitgenommen habe. Wieder wird die Zukunft eines Landes von der mandeläugigen
Madonna beschützt, die mich von der Wand herab prüfend anblickt, während ich
rede. Kein Mitleid liegt in ihrem Blick - sie hat das schon so oft gehört. Aber
immerhin hört sie zu, also sage ich ihr alles.
    »Es ist doch jammerschade«, sage ich zu ihr, »dass ich
meine Geschichte nicht als Fallstudie für meine Studenten verwenden kann. Die
sind alle so clever, die hätten den Widerspruch gleich bemerkt. »Moment mal!«,
hätten sie gerufen. »Die Anwältin in Ihrem Beispiel hat die Sache nicht zu
Ende geführt: Sie hätte noch einmal bei der Bank of England nachhaken sollen!
Was, wenn das Darlehen nie zurückgezahlt oder vielleicht gar nicht erst gewährt
wurde? Die Anwältin hätte noch andere Aufzeichnungen überprüfen, eine Anfrage
nach Frankreich schicken sollen. Wenn das Darlehen nie gewährt wurde oder wenn
zumindest ein Teil des Darlehens zurückgezahlt wurde, dann ist das Erbe noch
da, und es braucht nur jemand Anspruch darauf zu erheben, nicht wahr?«
    »Ja, klar«, hätte ich ihnen geantwortet. »Klar. Und
übrigens listet das Guinness-Buch der Rekorde Polubotoks
Gold erneut als das zweitgrößte noch nicht eingeforderte Erbe auf.« Erst
gestern habe ich gesehen, wie der ukrainischen Botschafter in Kanada auf CBN
interviewt wurde.
    »Ich bin ein professioneller Diplomat«, sagte er fest,
»und ich mag keine Sensationen. Doch was ich jetzt zu sagen habe, könnte man
als Sensation betrachten. Die Botschaft verfügt über eindeutige Beweise, die es
der Ukraine erlauben werden, die Kosakenschätze zum Wohle der Nation
zurückzuerlangen.«
    Offenbar beinahe ein Kilo Gold pro ukrainischen Einwohner.
Ein aalglatter Typ, dieser Botschafter. Er sprach davon, wie diese wunderbare
Entdeckung das Schicksal der Ukraine

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