Shimmer
lebendig. Er glich mehr einer schönen Libelle, funkelnd in der Nacht, und ich hätte gerne gelächelt, denn er sah so gut aus, fast wie ein Engel ohne Flügel. Stattdessen schlug mein Herz immer schneller, und ich habe eine Gänsehaut bekommen.«
»Haben Sie sein Gesicht gesehen?«, fragte Sam.
»Ja«, antwortete Mildred, »und auch das war silbern. Aber davon abgesehen kann ich Ihnen nichts sagen, was ihn von anderen dünnen, jungen Männern unterschieden hätte, obwohl er ...«
Sam wartete einen Moment. »Obwohl er was? «, hakte er dann nach. »Hat er Sie gesehen, Mildred?«
»Er hat mich überhaupt nicht angeschaut. Dafür war er viel zu sehr in sich versunken.« Sie lächelte. »Für mich sollte ein junger Mann mitten beim Liebemachen so aussehen.«
» Mitten beim Liebemachen?«, fragte Sam. »Oder beim Höhepunkt?« Er wusste nicht, wie er seine Vermutung einfühlsamer hätte formulieren sollen, dass es dem Fremden möglicherweise einen Orgasmus beschert hatte, was er kurz zuvor mit ihrem Unbekannten gemacht hatte. Vielleicht hatte bei ihm ja sogar schon die Vorfreude gereicht. »Meinen Sie, er hatte einen Orgasmus?«
Mildred grinste. »Nein, Sir, noch nicht. Aber er hatte erkennbar seinen Spaß.«
»Konnten Sie sehen, ob er high war?«
»Schwer zu sagen«, antwortete Mildred. »Eher nicht, würde ich sagen. Aber natürlich kann ich es nicht mit Gewissheit sagen.«
»Und wo war das? Und wann?«
Zurück zum Geschäft.
»Gestern Morgen. Sehr früh, so gegen zwei Uhr.« Mildred schaute auf ihre beiden Armbanduhren. Die eine – eine schlichte Uhr mit blassblauem Band – trug sie am rechten Handgelenk, die andere – aus Gold, alt und angelaufen und mit schmalem Band – zierte das linke Handgelenk. Sie hatte Sam bereits des Öfteren gesagt, wie sehr sie Pünktlichkeit schätze, und Sam wusste, dass Mildreds Angaben stets sehr zuverlässig waren.
Also früh am Donnerstagmorgen. Da war es eher unwahrscheinlich, dass die Sichtung unmittelbar mit dem Mord zu tun hatte ... Es sei denn natürlich, der Mann hatte genau zu diesem Zeitpunkt die Tat geplant und die Vorfreude genossen.
Aber wahrscheinlich hatte es sich wirklich nur um einen Fremden gehandelt.
»Und wo haben Sie ihn gesehen?«, fragte Sam.
»Auf der Promenade«, antwortete Mildred, »nicht weit von hier, in der Nähe der Siebten.«
Das war drei Blocks von der Stelle entfernt, an der das Ruderboot an Land gezogen worden war.
Das konnte gar nichts bedeuten, und aller Wahrscheinlichkeit nach war es auch so – und das wussten beide, nur dass Mildred nicht dazu neigte, hinter jeder Ecke einen Psychopathen zu sehen.
An diesem Nachmittag allerdings, da es am South Beach nur so vor Leuten wimmelte, die den heißen, feuchten Sonnenschein genossen und die am Horizont heraufziehenden Wolken ignorierten, fiel es einem schwer, sich silbern gewandete Spinner vorzustellen, die Mordpläne hegten.
Aber Mildred war nicht auf den Kopf gefallen.
»Hinterher habe ich mich gefragt«, fuhr sie fort, »warum dieser dünne Junge mir eigentlich eine solche Angst eingejagt hat.«
»Und? Haben Sie eine Antwort gefunden?«, fragte Sam.
»Ja. Er hat mich nicht nur an irgendeinen dürren Engel erinnert, Flügel hin oder her, sondern ...«
Sam wusste, was sie sagen würde.
»... sondern an den Engel des Todes.«
Sam schaute neben sich auf die Bank; sein Beschützerinstinkt war geweckt. Mildred war eine kleine Frau und unter den vielen Schichten Kleidung vermutlich schmal gebaut.
»Wir werden Sonderstreifen in der Gegend einsetzen«, sagte Sam, »zumindest für ein paar Nächte. Trotzdem bin ich mir nicht sicher, ob mir die Vorstellung gefällt, dass Sie nachts allein hier draußen sind.«
Mildred schaute zu ihm hinauf. »Wollen Sie mich etwa verhaften, Samuel?«
»Nein, Ma’am.«
»Das hier ist mein Heim.« Mit ausgestrecktem Arm wies sie in die Runde, auf den Rasen, die Bäume, die Promenade, die Dünen und den Strand dahinter. »Das ist meine Freiheit.«
»Ich weiß«, sagte Sam.
»Ich kann Wände nicht ertragen«, erklärte Mildred. »Nicht seit Donny.«
Das hatte sie auch früher schon gesagt, hatte es aber nie näher ausgeführt. Sam hatte keinen Grund, ihr nicht zu glauben, und er wollte sie nicht in Bedrängnis bringen.
»Würden Sie mir einen Gefallen tun?«, fragte er.
»Wenn ich kann.«
»Wenn ich Ihnen ein Handy gebe mit meinen Nummern drauf, versprechen Sie mir dann, dass Sie es benutzen?«
»Für den Fall, dass ich ihn noch einmal
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