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Shimmer

Shimmer

Titel: Shimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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Hilfe.
    Sofort!
    Sam knackte das Schloss mit dem Messer. Die Klinge brach, doch die Tür schwang auf.
    Und Sam sah zum ersten Mal Frank Lucca.

Die Epistel von Cal dem Hasser
     
    »Zu Anfang habe ich mich nur für sie aufgedonnert.
    Für Jewel, die Weiße Hexe.
    Ich habe es getan, um ihr zu gefallen. Ich hatte viel zu viel Angst, dass ich sie wütend machte, wenn ich mich weigerte.
    Alles, um dem Schmerz ein Ende zu bereiten.
    Später, als auch ich das Make-up und den ganzen Rest fand, haben wir weitergemacht – damit und auch mit dem anderen kranken Zeug, aber nur unter uns, denn sie hat gesagt, dem alten Kerl würde das nicht gefallen. Und noch später, nachdem er krank geworden war – sie wollte ihn nicht ins Krankenhaus gehen lassen, sondern ihn selbst ›pflegen‹. Aber danach hat sie angefangen, auch mit ihm diese ›Dinge‹ zu machen, und von da an ist alles außer Kontrolle geraten. Unser Leben in den Mauern dieses Hauses war eine Mischung aus Fruitcake Alley und Looney Tunes mit einer Prise Rocky Horror Picture Show. Nur dass niemand gelacht hat.«

64
     
    »Großer Gott!«
    Entsetzen war das einzige Wort, mit dem man Sams Gefühle beschreiben konnte.
    Entsetzen, durchsetzt von Mitleid.
    Sein Schwiegervater mochte einst das Paradebeispiel eines Arschlochs gewesen sein, doch jetzt sah er aus, als hätte er zwanzig Jahre im Knast von Cook County in Einzelhaft gesessen.
    »Claudia«, rief Sam von der Tür her, »ruf einen Rettungswagen!«
    Langsam betrat er das Zimmer.
    Frank Lucca saß in einem Rollstuhl. Sein nackter, ausgemergelter Oberkörper und die Arme waren mit Verbänden gefesselt, die Beine unbeweglich, möglicherweise gelähmt. Nicht mal eine Decke schützte ihn, geschweige denn Kleidung – abgesehen von verdreckten, stinkenden, einst weißen Shorts.
    Er hatte kein Haar mehr auf dem Kopf und keine Augenbrauen. Sein Gesicht war gräulich; die Haut an der Nase, an den Wangen und über den Lippen war wund und entzündet. Seine Augen waren blutunterlaufen und genauso dunkel wie Claudias. Sie schauten Sam flehend an.
    Er sprach kein Wort.
    Sein ganzer Körper – jedenfalls der Teil davon, den Sam sehen konnte – war von Narben und offenen Wunden bedeckt. Die meisten verliefen horizontal oder diagonal über seinen Oberkörper, vor allem über die Brust.
    Und eines der Übelkeit erregenden, schockierenden Gefühle, die Sam beim Anblick von Grace’ Vater überkamen, war der Verdacht, dass er Ähnlichkeiten feststellen würde, sobald er die Gelegenheit bekam, sich seine eigenen Verletzungen genauer anzuschauen ...
    Doch es gab noch mehr, was ihm bei diesem Anblick vertraut vorkam.
    Nach und nach nahm vor seinem inneren Auge ein Bild Gestalt an.
    Die Figur, die David Bowie in dem Film verkörperte, dessen Poster in dem anderen Zimmer hing, war ein Gin saufender Alien mit Namen Thomas Jerome Newton. Sam erinnerte sich daran, weil ein Mädchen, mit dem er im College ausgegangen war, ein großer Bowie-Fan gewesen war. Und Ziggy Stardust war vor dem Alien gekommen – nicht dass die Chronologie in diesem Fall von Bedeutung gewesen wäre. Was Sam in diesem Augenblick zutiefst verwirrte, waren der metallische Look und die Plateaustiefel der Kunstfigur.
    Wie Mildreds flügelloser Silberengel.
    Und auch Bowie als Ziggy Stardust trug Schuhe, mit denen er aussah, »als wollte er den Leuten im ersten Stock in die Fenster gucken«, wie Mildred sich ausgedrückt hatte.
    Mein Gott.
    »Sir?« Sam sprach seinen Schwiegervater zum ersten Mal an, ohne zu wissen, ob der ihm überhaupt antworten konnte.
    »Sam?«, rief Claudia von unten. »Sie sind unterwegs.« Ihre Stimme zitterte, als hätte sie Angst zu fragen. »Ist es ... Ist es wegen meines Vaters?«
    »Ja«, rief Sam zurück. »Du solltest lieber eine Decke holen, Claudia.«
    Wieder drang das gequälte Stöhnen tief aus Frank Luccas Kehle, schrecklich in seiner Hilflosigkeit. Tränen liefen ihm über die Wangen.
    Sam zog ein Taschentuch aus der Hosentasche, kniete sich auf das Linoleum neben dem Rollstuhl und wischte dem alten Mann behutsam die Wangen ab.
    Nie hätte er gedacht, dass dieser Tag einmal kommen würde.
    »Es ist gut«, sagte er leise. »Ich bin Sam Becket, Grace’ Ehemann. Wir werden Ihnen helfen.«
    Claudia kam ins Zimmer. Sie hielt ein blaues Laken in der Hand, das sie entsetzt fallen ließ, kaum dass sie ihren Vater sah, diesen bösen alten Mann aus den Albträumen ihrer Kindheit.
    »Papa«, sagte sie und brach ebenfalls in Tränen aus.
    Frank

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