Shimmer
Lucca starrte sie an. Er machte nun keine Geräusche mehr, und die eigenen Tränen blieben ihm im Halse stecken. Wie erstarrt schaute er mit großen Augen seine lange verlorene Tochter an.
»Schneide ihn los«, sagte Claudia.
»Mach ich«, erwiderte Sam leise und ruhig, nahm sein Handy heraus und schaltete die Kamerafunktion ein. »Sobald ich ein paar Fotos gemacht habe.«
»Als Beweis.« Claudia nickte.
»Genau.«
Doch zunächst einmal gab es zwei Fragen, die Sam stellen musste.
»Wer hat Ihnen das angetan, Sir?«
Sie warteten, ob der alte Mann überhaupt noch sprechen konnte.
»Meine Frau.« Luccas Stimme klang schwach. »Roxanne.«
Das Bild wurde immer deutlicher. Eine ganze Flut von Verdachtsmomenten, alle nach wie vor nicht zu untermauern und noch immer unglaublich, vereinten sich zu etwas, von dem Sam wusste, dass es mehr war als nur eine Ahnung.
Stell die zweite Frage.
»Können Sie mir sagen, ob Ihre Frau je Ihren Sohn misshandelt hat?«
Luccas Augen schienen zu brennen und die Schrecken in seinem Geist festzuhalten.
Und dann sprach er wieder, ein einziges Wort.
»Mostro.«
Monster.
Die Epistel von Cal dem Hasser
»So weit ist es jetzt also schon gekommen. Tausend Ressentiments, die im Laufe der Jahre wie Geschwüre in seinem Kopf gewuchert sind, brechen eins nach dem anderen auf, wann immer du dir dein lausiges Hirn wegbläst.
Und dann ist er plötzlich da. Dieser eine Mann, dieses perfekte Ziel. Der Prototyp von allem, das zu hassen Jewel mich gelehrt hat.
Samuel Lincoln Becket.
Was für ein großkotziger, arroganter zweiter Vorname.
Laut Jewel sind zweite Vornamen wichtig, weshalb sie mir als zweiten Namen den zweiten Namen ihrer Lieblingsfigur von David Bowie gegeben hat. Den ersten Namen – Thomas – möge sie nicht, hat sie zu mir gesagt, denn das sei der Apostel gewesen, der Jesus verleugnet habe, während der heilige Hieronymus/Jerome die Bibel ins Lateinische übersetzt habe – und Jewel zufolge ist Jerome auch der zweite Vorname von Clark Kent.
Vor allem aber war Jewel verrückt nach David Bowie.
Nein, nicht verrückt nach etwas, sondern einfach nur verrückt.«
65
Nachdem er Frank Luccas Fesseln fotografiert, den alten Mann befreit und ihn Claudias Obhut übergeben hatte, rief Sam bei Grace an und setzte sie ins Bild.
»Deine Stiefmutter scheint ein ziemlich übles Weib zu sein«, sagte er. »Allerdings habe ich den Eindruck, als wäre ihr Sohn noch um einiges schlimmer.«
Grace konnte das alles kaum glauben.
»Du glaubst doch nicht wirklich, dass Jerome dieser Killer ist?«
»Bis jetzt habe ich nicht den kleinsten Beweis dafür«, antwortete Sam, »aber ich werde unser Haus unter Beobachtung stellen lassen ... nur für den Fall, dass er sich doch noch mal zu einem Besuch entschließt.«
»Das ist bestimmt das Letzte, was er tun würde, besonders wenn du recht hast«, sagte Grace und hielt kurz inne. »Aber wenn seine Mutter ihm gesagt haben sollte«, fuhr sie fort, »dass du und Claudia bei ihr aufgetaucht seid, könnte ihn das wütend machen.«
»Ich werde jedenfalls kein unnötiges Risiko eingehen«, sagte Sam.
Als Nächstes rief er im Büro des Sheriffs an, dann bei Martinez in Florida.
»Hier ist eine Menge passiert«, berichtete Martinez. »Vor ein paar Stunden ist Eddie Lopéz aufs Revier gekommen.«
»Der ist nicht unser Mann«, erklärte Sam. »Zu achtzig Prozent, vielleicht mehr.«
Rasch brachte er seinen Partner auf den neuesten Stand und erklärte, nach einem Gespräch zwischen dem Sheriff von Cook County und Chief Hernandez müsse die Zusammenarbeit eigentlich gut genug geregelt sein, dass er mit der Acht-Uhr-Maschine wieder nach Miami zurückkehren könne.
»Aber natürlich werden sie erst einmal meine Aussage aufnehmen und meine Wunden fotografieren ...«
»Alles in Ordnung mit dir, Mann?«, unterbrach ihn Martinez. »Vorhin hast du noch von ›Kratzern‹ gesprochen.«
Sam hatte zu vergessen versucht, wie sehr die verdammten Risse in seinem Fleisch schmerzten. »Ein bisschen Jod, und es geht wieder«, sagte er und lenkte das Gespräch wieder auf den Fall. »Ich habe ein Foto von Cooper gefunden und werde die Jungs von Cook County bitten, es dem Chief zu schicken. Dann habt ihr wenigstens schon mal was.«
»Alles klar«, sagte Martinez. »Wie kommt Claudia mit alledem zurecht?«
»Sie ist ziemlich fertig, aber fit genug, um sich bis zum Eintreffen der Sanitäter um den alten Mann zu kümmern.« Haftbefehle, fuhr er fort, würden
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