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Shimmer

Shimmer

Titel: Shimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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die Worte einwirken und wartete darauf, dass es irgendeine Wirkung zeigte, dass ihr Vater von dieser Frau gefoltert worden war, so wie es ihrer Meinung nach für eine Tochter angemessen gewesen wäre.
    Nichts. Bloß ein schwaches Gefühl des Mitleids und Ekels, wie es sich in einem regt, wenn man über irgendwelche Grausamkeiten in der Zeitung liest. Diese Erkenntnis traf Grace tiefer als die schockierenden Fakten über Frank. Sie schämte sich, war zugleich aber auch wütend, denn es war die Schuld ihres Vaters, nicht ihre, dass sie schon seit langer Zeit nichts mehr für ihn empfand.
    Grace suchte nach der richtigen Antwort, nach irgendetwas, das ihrer Schwester helfen würde, doch ihr fiel nur eines ein, und so fragte sie stattdessen:
    »Hast du Daniel schon angerufen?«
    »Noch nicht«, antwortete Claudia, »aber bald.«
    »Warte nicht zu lange, Schwesterherz«, mahnte Grace.
    Sie wollte nicht, dass Claudia noch mehr litt.
    Es gab viele weitere Menschen, für die Grace noch immer etwas empfand – Menschen, die sie liebte.

Die Epistel von Cal dem Hasser
     
    »Schließlich wusste ich, dass ich raus musste, wollte ich meinen Verstand nicht endgültig verlieren.
    Oder gar sterben.
    Was wohl besser gewesen wäre.
    Doch ohne Geld konnte ich nicht fliehen, und um an Geld zu kommen, gab es für mich nur eine Möglichkeit. Also nahm ich das, was Jewel mir über das Aufdonnern beigebracht hatte, und setzte es zu meinem eigenen Vorteil ein. Ich entwarf meine eigene Ziggy-Hommage und wollte mich an den Meistbietenden verkaufen, wann immer möglich.
    Ich habe auch meinen Namen gewechselt – denn das tun Künstler nun mal –, und zwar nach und nach: Zuerst die ersten beiden Buchstaben meines echten Namens, wobei ›Rome‹ herauskam, und das wiederum passte meiner Meinung nach hervorragend zu Orgien und dergleichen. Dann las ich etwas über einen römischen Kaiser, Caligula, der seine Schwestern gevögelt und jede Menge Leute umgebracht hatte.
    So wurde aus mir Cal, und aus Roxy wurde Jewel.
    Aber nur für mich, in meiner Epistel. Sie weiß nicht, dass ich so über sie denke.
    Ich bin mir sicher, sie würde es hassen.
    Ich will mir gar nicht vorstellen, was sie tun würde, sollte sie es je herausfinden.
    Als ich über Caligula las, habe ich auch erfahren, dass seine Mutter Julia hieß, was jedoch nicht zu Roxanne passte, nicht im Mindesten; es war zu klassisch. Dann aber habe ich daran gedacht, dass Diamanten angeblich das härteste Material der Welt sind, und so wurde aus Julia ›Jewel‹ – und das passte perfekt.
    Sie weiß auch nichts von ›Cal‹.
    Für meine Freier bin ich heutzutage jedoch immer Cal.
    Tabby war nicht der Erste, dem der Name gefallen hat.
    Als ich mich dann wegen Geld an meine Stiefschwester herangemacht habe, beließ ich es einfach bei Jerome.
    Aber das habe ich nicht nur um meinetwillen getan, sondern auch für Jewel. Ich mag eine Heidenangst vor meiner Mom haben, aber ich hasse sie nicht immer, und ich weiß, was die Pflege dieses alten, kranken Bastards aus ihr gemacht hat. Deshalb dachte ich mir, wenn ich genug Geld mache, könnte ich ihr ein neues Leben ermöglichen.
    Es ist nicht meine Schuld, dass ich zum Hass erzogen worden bin.
    Es sind nicht nur ›diese‹ Leute, sondern auch Grace und Claudia.
    Es war an der Zeit, dass eine von ihnen für mein lausiges Leben bezahlt.
    Becket hätte nicht mit mir machen sollen, was er vor ihrem Haus mit mir gemacht hat.
    Nicht mit Cal dem Hasser.«

67
     
    Mildred war an diesem Abend deutlich besser gestimmt.
    Eine ihrer Bekannten, die sie bisweilen mit erstklassigen Ladenschlusssandwiches versorgte, war früher am Tag vorbeigekommen, um Hallo zu sagen, und hatte gefragt, ob Mildred vielleicht um sechs Uhr in ihrem Coffeeshop vorbeikommen wolle. Ihre Kollegen seien dann nämlich schon weg, sodass sie ausnahmsweise allein würde abschließen müssen.
    »Um die Wahrheit zu sagen, ich hätte einfach gern Gesellschaft«, hatte die Frau gesagt.
    Normalerweise hätte Mildred eine trockene, vielleicht zynische Bemerkung gemacht; aber sie mochte diese Art von Mensch, und nach all der Aufregung vergangene Woche wäre sie eine Närrin gewesen, hätte sie das Angebot ausgeschlagen.
    Nun war sie auf dem Weg dorthin.

68
     
    »Ich glaube wirklich, ihr solltet jetzt nach Hause gehen«, sagte Grace um kurz nach sieben, nachdem sie das Baby gebadet und nach einem weiteren Anruf aus Chicago ins Bett gebracht hatte. »Sam ist schon auf dem Weg nach O’Hare. Gegen

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