Shining
hören, der körnigen Schnee gegen das Gebäude fegte, und gelegentlich knarrte eine Diele.
Sie betrachtete ihren lädierten Fingernagel. Winzige Blutstropfen quollen unter ihm hervor.
(Jack ist rausgekommen.) (Red’ keinen Unsinn.)
(Ja, er ist draußen. Er hat sich ein Messer aus der Küche geholt, vielleicht auch das Hackbeil. Und jetzt ist er auf dem Weg nach oben und geht dicht an der Wand, damit die Stufen nicht knarren.)
(Du bist wahnsinnig!)
Ihre Lippen zitterten, und einen Augenblick schien es, als hätte sie die Worte laut geschrien. Aber die Stille hielt an. Sie fühlte sich beobachtet.
Sie fuhr herum und starrte das nachtschwarze Fenster an, und ein scheußliches weißes Gesicht mit dunklen Löchern als Augen stieß seltsame Laute aus, das Gesicht eines monströsen Irren, der sich schon die ganze Zeit in den ächzenden Wänden verborgen gehalten hatte -
Es waren nur die Eisblumen am Fenster.
In einem langen, rasselnden Seufzer der Angst stieß sie den Atem aus, und ihr schien, als hätte sie von irgendwo her, diesmal ganz deutlich, ein belustigtes Kichern gehört.
(Du fährst bei jedem Schatten zusammen. Es war auch ohnedies schon schlimm genug. Morgen bist du reif für die Gummizelle.) Es gab nur eine Methode, dieses Ängste zu bekämpfen, und die kannte sie.
Sie musste hinuntergehen, um festzustellen, ob Jack noch im Vorratsraum hockte.
Sehr einfach. Die Treppe runter. Nachsehen. Wieder raufgehen. Übrigens, dabei gleich das Tablett mitnehmen, das noch neben der Registrierkasse stand. Das Omelett war jetzt wohl ein einziges Fiasko, aber die Suppe konnte sie auf der Heizplatte wärmen, die neben Jacks Schreibmaschine stand.
(Oh ja, und lass dich nicht umbringen, wenn er dort unten mit einem Messer steht.)
Sie ging an den Frisiertisch und versuchte, ihre Angst abzuschütteln. Auf dem Tisch lagen verstreut ein Haufen Wechselgeld, Benzinquittungen und die beiden Pfeifen, die Jack mitgebracht hatte, aber selten rauchte … und sein Schlüsselring.
Sie nahm ihn auf, hielt ihn einen Augenblick in der Hand und legte ihn wieder hin. Sie hatte daran gedacht, die Schlafzimmertür hinter sich abzuschließen, aber das schien nicht ratsam. Danny schlief. Vage Gedanken an Feuer gingen ihr durch den Kopf, und etwas anderes nagte noch mehr an ihr, aber sie verdrängte es.
Wendy durchquerte das Zimmer und blieb eine Weile unschlüssig an der Tür stehen. Dann nahm sie das Messer aus der Tasche ihres Bademantels und schloss die rechte Hand fest um den Holzgriff.
Sie riss die Tür auf.
Der kurze Gang zum Hauptkorridor war leer. Die elektrischen Wandlampen brannten hell und schienen auf den Teppich mit seinem gewundenen schwarzblauen Muster.
(Siehst du? Hier sind keine Gespenster.)
(Nein, natürlich nicht. Sie wollen, dass du rauskommst und etwas Albernes, Weibisches tust, und genau das tust du auch.)
Wieder zögerte sie und fühlte sich auf elende Weise ertappt. Sie wollte Danny und die Sicherheit der Wohnung nicht verlassen, aber gleichzeitig war es dringend erforderlich, sich über den Stand der Dinge zu vergewissern. Sie musste wissen, ob Jack noch … sicher untergebracht war.
(Natürlich ist er das.)
(Aber die Stimmen.)
(Es hat keine Stimmen gegeben. Es war nur deine Phantasie. Es war der Wind.)
»Es war nicht der Wind.«
Der Klang ihrer eigenen Stimme ließ sie zusammenzucken. Aber die tödliche Gewissheit, die sie aus ihr heraushörte, ließ sie weitergehen. Sie ließ das Messer an ihrer Seite schlenkern, und das Metall fing das Licht ein und reflektierte es gegen die Seidentapete. Ihre Nerven sangen wie angezupfte Saiten.
Sie erreichte die Abzweigung zum Hauptkorridor und schaute sich um. In Gedanken richtete sie sich auf das ein, was sie dort vielleicht sehen würde.
Es gab nichts zu sehen.
Sie zögerte noch ein bisschen länger, dann bog sie um die Ecke und ging den Hauptkorridor entlang. Jeder Schritt auf die im Schatten liegende Treppe zu vergrößerte ihre Angst und ließ sie deutlicher empfinden, dass sie ihren schlafenden Sohn allein und ohne Schutz zurückgelassen hatte. Das Geräusch ihrer Hausschuhe auf dem Teppich kam ihr immer lauter vor; zweimal schaute sie über die Schulter zurück, um sich zu vergewissern, dass ihr niemand hinterher schlich.
Sie erreichte die Treppenspindel und legte die Hand auf den kalten Geländerpfosten. Neunzehn breite Stufen führten zur Lobby hinunter. Sie hatte sie oft genug gezählt, um das genau zu wissen. Neunzehn mit Teppich ausgelegte
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