Shining
Telefon ist bestimmt ausgefallen. Aber ich glaube Ihnen. Manchmal habe ich so eine Ahnung.«
Hallorann nickte. »Ich auch manchmal.«
»Ja, das weiß ich. Aber seien Sie vorsichtig.«
»Bestimmt.«
Mit einem Winken verschwand Cottrell im wirbelnden Schnee, und immer noch saß die Monteurmütze keck auf seinem Kopf. Hallorann startete, die Ketten wühlten sich in den Schneebelag der Straße und griffen dann genügend, so dass der Buick anfuhr. Hinter ihm drückte Cottrell auf die Hupe. Er wollte ihm Glück wünschen. Eigentlich war das unnötig, denn Hallorann wusste ohnehin, dass Cottrell ihm ein Gelingen seiner Mission wünschte.
Zwei Hellsichtige an einem Tag, dachte er, das sollte eigentlich ein gutes Omen sein. Aber er traute guten Vorzeichen nicht, und auch keinen schlechten. Und an einem Tage zwei Menschen zu treffen, die mit Hellsichtigkeit begabt waren (wo ihm doch sonst höchstens vier oder fünf im Jahr begegneten), mochte ohne jede Bedeutung sein. Dieses Gefühl der Endgültigkeit, ein Gefühl,
(als ob die Dinge verhüllt sind)
das er nicht eindeutig definieren konnte, beherrschte ihn immer noch.
Es war -
Der Buick drohte in einer engen Kurve ins Schleudern zu geraten, und Hallorann wagte kaum zu atmen. Aber er meisterte die Situation und schaltete das Radio wieder ein. Es war Aretha, und Aretha war Klasse. Jederzeit hätte er seinen Buick mit ihr geteilt.
Wieder traf eine Bö den Wagen und ließ ihn wegrutschen. Hallorann fluchte und rückte noch enger an das Steuer heran. Aretha beendete ihren Song, und dann war der Diskjockey wieder da und erzählte ihm, dass man leicht sein Leben verlieren könne, wenn man bei so einem Wetter mit dem Fahrzeug unterwegs sei.
Hallorann schaltete aus.
*
Er schaffte es tatsächlich bis Sidewinder, allerdings hatte es von Estes Park noch viereinhalb Stunden gedauert. Als Hallorann den Uplands Highway erreichte, herrschte Dunkelheit, aber der Schneesturm hielt in unverminderter Stärke an. Zweimal hatte er vor Schneewehen anhalten müssen, die höher als die Motorhaube des Buick waren, und er wartete jedes Mal, bis Schneepflüge kamen und ihm eine Lücke pflügten. An einer dieser Wehen war ihm der Pflug auf seiner Straßenseite entgegengekommen, und es hatte wieder einen Beinahezusammenstoß gegeben. Der Fahrer war ihm lediglich ausgewichen, ohne die Sache mit ihm zu diskutieren, aber er hatte mit zwei Fingern eine Geste gemacht, die jeder Amerikaner über zehn kennt – das Friedenszeichen war es nicht.
Je näher er dem Overlook kam, um so mehr empfand er einen Zwang, sich zu beeilen. Ständig schaute er auf die Uhr, und die Zeiger schienen zu rasen.
Zehn Minuten nachdem er auf die Upland eingebogen war, tauchten zwei Hinweisschilder auf. Der Wind hatte den Schnee weggefegt, so dass er sie lesen konnte. Auf dem einen stand SIDEWINDER 10. Auf dem anderen las er: STRASSE AUF 12 MEILEN WÄHREND DER WINTERMONATE GESCHLOSSEN.
»Larry Durkin«, murmelte Hallorann vor sich hin. Sein dunkles Gesicht zeigte im schwachen grünen Licht der Instrumente deutlich die Anstrengungen, die er hinter sich hatte. Es war zehn nach sechs. »Das Conoco neben der Bibliothek. Larry –«
Und in diesem Augenblick traf es ihn mit aller Gewalt, der Geruch von Orangen und die Gedankenkraft, brüllend und hasserfüllt. Mörderisch: (MACH DASS DU WEGKOMMST, DU DRECKIGER NIGGER! DIES GEHT DICH NICHTS AN. KEHR GLEICH WIEDER UM, ODER WIR WERDEN DICH UMBRINGEN! WIR WERDEN DICH AN EINEN AST HÄNGEN UND IN BRAND STECKEN, DU SCHEISSNIGGER. SO WER- DEN NIGGER VON UNS BEHANDELT. KEHR SOFORT WIEDER UM!)
In der Abgeschlossenheit des Wagens schrie Hallorann laut auf. Die Botschaft kam nicht in Worten, sondern in einer Serie von rebusähnlichen Bildern, die sich brutal in seinen Kopf bohrten. Er nahm die Hände vom Lenkrad, um die Bilder wegzuwischen.
Der Wagen prallte seitlich gegen die Straßenbegrenzung, wurde auf die Straße zurückgeschleudert und stand. Die Räder drehten durch.
Hallorann schaltete auf neutral und schlug die Hände vors Gesicht. Er weinte nicht eigentlich; eher war es ein ungleichmäßiges, lautes Schluchzen. Seine Brust hob und senkte sich. Wenn ihm dies auf einem Straßenstück ohne seitliche Befestigung passiert wäre, könnte er jetzt tot sein. Das wusste er genau. Vielleicht war ihm das sogar vorherbestimmt, und es könnte ihn jederzeit noch einmal treffen. Er musste sich dagegen schützen. Er war von mächtigen Kräften umgeben, die vielleicht Erinnerungen waren. Er
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