Shining
gaben den Blick auf ein atemberaubendes Panorama frei, vor dem sie in stummer Bewunderung standen. Ullman lächelte. »Na, ist das eine Aussicht?«
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte Jack.
Das Fenster nahm fast die ganze Wand ein, und drüben hing die Sonne direkt zwischen zwei gezackten Gipfeln und warf ihren goldenen Schein über die Felsenflächen und die schneebedeckten Bergspitzen. Auch die Wolken waren goldgerändert, und ein verlorener Strahl streifte noch die in der Dämmerung versinkenden dunklen Kronen der Fichten unterhalb der Waldgrenze.
Jack und Wendy waren von dem Anblick so gefesselt, dass sie Danny nicht beachteten, der nicht aus dem Fenster schaute, sondern die rotweiß gestreifte Seidentapete zur Linken anstarrte, wo sich die Tür zu einem Schlafzimmer öffnete. Und was ihm den Atem raubte, hatte mit Schönheit nichts zu tun.
Mit kleinen weißlichgrauen Klumpen durchsetzte große Spritzer getrockneten Blutes verklebten die Tapete. Der Anblick machte Danny ganz krank. Es war wie ein in Blut gemaltes Wahnsinnsbild, das surreal gezeichnete, von Entsetzen und Schmerz verzerrte Gesicht eines Mannes, der Mund zu einem Schrei geöffnet, der halbe Kopf zu Staub zerfallen -
(Wenn du also etwas siehst … dann schaust du einfach weg, und wenn du wieder hinschaust, wird es verschwunden sein. Hast du kapiert?)
Bewusst schaute er zum Fenster hinaus, wobei er sorgfältig darauf achtete, sich nichts anmerken zu lassen, und als seine Mutter ihn bei der Hand nahm, erwiderte er den Druck nicht, um ihr nur kein Signal irgendwelcher Art zu geben.
Der Manager redete mit seinem Daddy irgend etwas über die Fensterläden, die stets geschlossen gehalten werden müssten, damit ein starker Wind nicht etwa Schaden anrichten könne. Jack nickte. Verstohlen betrachtete Danny noch einmal die Wand. Die großen Blutflecken waren verschwunden. Auch die über die Flecken zerstreuten weißlichgrauen Klumpen waren nicht mehr da.
Dann führte Ullman sie wieder hinaus. Mommy fragte, ob er die Berge nicht schön fände, und Danny bejahte ihre Frage, obwohl ihm die Berge so oder so höchst gleichgültig waren. Als Ullman im Begriff war, die Tür zu schließen, schaute Danny über die Schult er zurück. Die Spritzer waren wieder da, aber jetzt waren sie frisch, und das Blut lief an der Wand herab. Ullman, der auf dieselbe Stelle starrte, fuhr mit seinem Kommentar fort, in dem er berichtete, welche berühmten Männer hier schon gewohnt hätten. Danny stellte fest, dass er sich die Lippen blutig gebissen hatte, ohne es zu merken. Während sie den Flur entlanggingen, blieb Danny ein wenig hinter den anderen zurück, wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab und dachte an
(Blut)
(Hatte Mr. Hallorann Blut gesehen oder gar etwas noch Schlimmeres?)
(Ich glaube nicht, dass diese Dinge dir etwas antun können.)
Er hatte einen kreischenden Schrei auf den Lippen, aber er stieß ihn nicht aus. Mommy und Daddy konnten solche Dinge nicht sehen, hatten sie nie gesehen. Er würde schweigen. Mommy und Daddy liebten sich, und das war die Wirklichkeit. Die anderen Dinge waren wie Bilder in einem Buch. Einige Bilder machten einem Angst, aber sie konnten einem nichts tun. Sie … konnten … einem nichts tun.
Mr. Ullman zeigte ihnen einige weitere Räume im dritten Stock. Er führte sie durch lange Flure mit vielen Abzweigungen. Es war wie in einem Irrgarten. Es seien alles Suiten, sagte Mr. Ullman. Er zeigte ihnen einige Zimmer, in denen eine Dame namens Marilyn Monroe nach ihrer Hochzeit mit einem Mann namens Arthur Miller gewohnt hatte. (Vage begriff Danny, dass es zwischen Marilyn und Arthur kurz nach ihrem Aufenthalt im Overlook eine SCHEIDUNG gegeben hatte.)
»Mommy?«
»Ja, Honey?«
»Wenn sie verheiratet waren, warum hatten sie dann verschiedene Namen? Du und Daddy habt den gleichen Namen.«
»Ja, Danny, aber wir sind auch nicht berühmt«, sagte Jack. »Berühmte Frauen behalten ihren Namen auch, wenn sie heiraten, denn ihre Namen sind ihr Kapital.«
»Kapital?« fragte Danny ganz entgeistert.
»Daddy meint, die Leute gehen vielleicht gern ins Kino, um Marilyn Monroe zu sehen«, sagte Wendy. »An Marilyn Miller wären sie vielleicht nicht interessiert.«
»Warum nicht? Sie bleibt doch dieselbe Dame. Würde das nicht jeder wissen?«
»Ja, aber –« sie sah Jack hilfesuchend an.
»In diesem Zimmer hat Truman Capote gewohnt«, unterbrach Ullman ungeduldig. Er öffnete die Tür. »Das war schon zu meiner Zeit. Sehr netter
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