Shining
Bücher, die du dir anschauen kannst. Du magst doch Bücher, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Danny gehorsam.
»Du bist ein guter Junge, Danny.«
Danny antwortete mit einem schwachen Lächeln.
*
»Ich kann bei ihm nichts feststellen«, sagte Dr. Edmonds zu Dannys Eltern. »Jedenfalls nichts Körperliches. Und geistig ist er rege, wenn auch ein wenig zu phantasiebegabt. Das gibt es. Kinder müssen in ihre Vorstellungswelt hineinwachsen wie in ein Paar zu große Schuhe. Dannys Phantasie ist für ihn mindestens drei Nummern zu groß. Haben Sie seinen IQ einmal ermitteln lassen?«
»Ich halte nichts davon«, sagte Jack. »Es legt die Erwartungen der Eltern und Lehrer allzu sehr fest.«
Dr. Edmonds nickte. »Das mag sein. Aber wenn Sie ihn testen ließen, würden Sie wahrscheinlich feststellen, dass er den meisten seiner Altersgenossen weit voraus ist. Für einen noch nicht sechsjährigen Jungen ist seine Fähigkeit sich auszudrücken erstaunlich.«
»Wir reden mit ihm ja auch nicht wie mit einem Baby«, sagte Jack mit einem Anflug von Stolz.
»Wenn Sie das überhaupt je nötig gehabt hätten, um sich verständlich zu machen.« Edmonds machte eine Pause und spielte mit einem Federhalter. »Er fiel in Trance, während ich bei ihm war. Auf meinen Wunsch. Genau wie es nach Ihrer Beschreibung gestern Abend im Badezimmer war. Alle seine Muskeln erschlafften, sein Körper sank in sich zusammen, er verdrehte die Augen. Eine Selbsthypnose wie aus dem Lehrbuch. Ich war höchst erstaunt. Ich bin es noch.«
Die Ehegatten Torrance beugten sich vor. »Was ist passiert?« fragte Wendy gespannt, und Edmonds sprach eingehend über Dannys Trance, die gemurmelten Sätze, bei denen er nur die Worte »Ungeheuer«, »dunkel« und »Stampfen« verstanden hatte. Dann berichtete er von den anschließenden Tränen, der Hysterie und dem nervösen Magen.
»Das war wieder Tony«, sagte Jack.
»Was hat das alles zu bedeuten?« fragte Wendy. »Haben Sie eine Ahnung?«
»Einige. Aber vielleicht gefallen sie Ihnen nicht.«
»Erzählen Sie trotzdem«, forderte Jack ihn auf.
»Nach dem, was Danny mir berichtet hat, war dieser unsichtbare Freund bis zu Ihrem Umzug nach hier ein guter Freund. Erst seit diesem Umzug ist Tony zu einer bedrohlichen Gestalt geworden. Aus erfreulichen Erlebnissen wurden Alpträume, die für ihren Sohn um so beängstigender sind, als er sich hinterher nicht mehr erinnern kann, um was es in diesen Alpträumen ging. Das ist nicht ungewöhnlich. Wir erinnern uns alle an unsere angenehmen Träume besser als an die schlechten. Zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten scheint es eine Sperre zu geben. Sie lässt nur wenig durch, und was sie durchlässt, ist oft lediglich symbolisch. Das ist stark vereinfachter Freud, aber damit sind die Wechselwirkungen in unserem Verstand recht gut beschrieben.«
»Sie glauben, dass unser Umzug Danny so sehr verstört hat?« fragte Wendy.
»Möglicherweise«, sagte Edmonds. »Jedenfalls wenn der Umzug unter traumatischen Umständen stattgefunden hat. War es denn so?« Wendy und Jack tauschten einen Blick.
»Ich war Lehrer an einer Oberschule«, sagte Jack langsam. »Ich habe meinen Job verloren.«
»Ich verstehe«, sagte Edmonds. Er steckte den Federhalter, mit dem er gespielt hatte, in den Ständer zurück. »Es gibt leider noch ein weiteres Problem, das Ihnen vielleicht schmerzlich ist. Ihr Sohn scheint zu glauben, dass sie beide ernsthaft eine Scheidung erwogen haben. Er erwähnte es nur beiläufig, weil er glaubt, dass Sie von diesem Gedanken abgekommen sind.«
Jack saß mit offenem Mund da, und Wendy fuhr zurück, als hätte man sie geohrfeigt. Alles Blut war aus ihrem Gesicht gewichen.
»Wir haben nicht einmal darüber gesprochen«, sagte sie. »Weder in seiner Gegenwart noch unter uns. Wir –«
»Ich denke, es ist das Beste, wenn Sie alles erfahren, Doktor«, sagte Jack. »Kurz nach Dannys Geburt wurde ich Alkoholiker. Schon als Student hatte ich mit dem Trinken Probleme gehabt. Als Wendy und ich uns kennen lernten, wurde es ein wenig besser, aber nach Dannys Geburt war es schlimmer als je zuvor, und mit der Schriftstellerei, die ich als meine eigentliche Aufgabe betrachtete, klappte es auch nicht mehr. Als Danny dreieinhalb war, schüttete er Bier über Papiere, an denen ich arbeitete … mit denen ich mich jedenfalls beschäftigte … und ich … nun … ach, Scheiße.« Seine Stimme zitterte, aber seine Augen blieben trocken, und er wandte den Blick nicht ab. »Es hört
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