Shining
sich so verdammt gemein an, wenn man es laut sagt. Als ich ihn herumriss, um ihn zu verprügeln, habe ich ihm den Arm gebrochen. Drei Monate später gab ich das Trinken auf. Ich habe seitdem nichts mehr angerührt.«
»Ich verstehe«, sagte Edmonds in neutralem Ton. »Ich habe natürlich gesehen, dass der Arm schon mal gebrochen war. Er wurde sehr gut gerichtet.« Er stieß seinen Stuhl ein Stück vom Schreibtisch weg und legte die Beine übereinander. »Wenn ich ehrlich sein darf: es ist ganz klar, dass der Junge seitdem nicht mehr misshandelt wurde. Abgesehen von den Stichen und einigen geringfügigen Verletzungen, die jedes Kind sich gelegentlich zuzieht, habe ich an ihm nichts gefunden.«
»Natürlich nicht«, sagte Wendy heftig. »Jack wollte es doch nicht –«
»Nein, Wendy«, sagte Jack. »Ich wollte es tun. Irgendwie im Inneren hatte ich das Gefühl, dass ich ihm das zufügen wollte. Vielleicht sogar etwas Schlimmeres.« Wieder schaute er Edmonds an. »Wissen Sie was, Doktor? Dies ist das erste Mal, dass zwischen uns das Wort Scheidung erwähnt wird. Und Alkoholismus. Und Kindesmisshandlung. Drei Erstaufführungen in fünf Minuten.«
»Das mag die Wurzel des Problems sein«, sagte Edmonds. »Ich bin kein Psychiater. Wenn Sie wollen, dass Danny einen Kinderpsychiater aufsucht, könnte ich Ihnen einen sehr guten empfehlen, der im Mission Ridge Medical Center in Boulder arbeitet. Dennoch bin ich mir meiner Diagnose ziemlich sicher. Danny ist ein intelligenter, phantasievoller und scharfsinniger Junge. Ich glaube nicht, dass Ihre Eheprobleme ihn so mitgenommen haben, wie Sie denken. Kleine Kinder nehmen vieles in Kauf. Sie kennen keine Scham und keinen Zwang, irgend etwas zu verbergen.«
Jack betrachtete seine Hände. Wendy ergriff eine davon und drückte sie.
»Aber er ahnte die Dinge, die nicht stimmten. Dabei war aus seiner Sicht der gebrochene Arm nicht so bedeutend wie der mögliche Bruch zwischen Ihnen beiden. Er erwähnte das Wort Scheidung, nicht aber den gebrochenen Arm. Als die Schwester ihm gegenüber den Armbruch erwähnte, war er kaum interessiert. ›Ach, das ist schon lange her‹, sagte er, glaube ich.«
»Der Junge«, murmelte Jack. Seine Züge hatten sich verhärtet. »Wir verdienen ihn gar nicht.«
»Aber Sie haben ihn«, sagte Edmonds trocken. »Jedenfalls zieht sich der Junge von Zeit zu Zeit in eine Phantasiewelt zurück. Auch das ist nicht ungewöhnlich; das tun viele Kinder. Ich erinnere mich, dass auch ich einen unsichtbaren Freund hatte, als ich in Dannys Alter war, einen sprechenden Hahn namens Chug-Chug. Außer mir konnte ihn natürlich niemand sehen. Ich hatte zwei ältere Brüder, die mich oft nicht mitnehmen wollten, und in solchen Situationen kam Chug-Chug mir gerade recht. Und Sie verstehen natürlich, warum sein unsichtbarer Freund Tony heißt und nicht etwa Mike oder Hal oder Dutch.«
»Ja«, sagte Wendy.
»Haben Sie ihm das schon mal gesagt?«
»Nein«, sagte Jack. »Hätten wir es tun sollen?«
»Ach was. Das wird er früh genug selbst wissen. Er muss seine eigene Logik anwenden. Sehen Sie, Dannys Phantasien gehen tiefer, als es normalerweise beim Syndrom des unsichtbaren Freundes der Fall ist, und deshalb war Tony für ihn auch besonders wichtig. Tony kam und zeigte ihm angenehme Dinge, oft erstaunliche Dinge, immer aber war es etwas Gutes. Einmal zeigte ihm Tony Daddys verlorenen Koffer, der unter der Treppe stand. Ein anderes Mal sagte er ihm, dass Mommy und Daddy ihn an seinem Geburtstag zum Vergnügungspark mitnehmen wollten –«
»In Great Barrington«, rief Wendy. »Aber wie konnte er diese Dinge wissen? Was er manchmal sagt, ist geradezu unheimlich. Fast als ob –«
»Als ob er das Zweite Gesicht hätte«, sagte Edmonds lächelnd.
»Er wurde mit einer Embryonalhülle geboren«, sagte Wendy schwach. Edmonds Lächeln verwandelte sich in ein herzliches Lachen. Jack und Wendy sahen einander an und lächelten ebenfalls. Sie wunderten sich beide, wie leicht alles war. Dannys gelegentliches seltsames »Erraten« von Dingen war ebenfalls etwas, über das sie selten gesprochen hatten.
»Als nächstes erzählen Sie mir noch, er kann schweben«, sagte Edmonds immer noch lächelnd. »Nein, nein, nein. So leid es mir tut. Es ist nichts Übersinnliches im Spiel. Danny hat lediglich eine ungewöhnlich gute Beobachtungsgabe. Mr. Torrance, er wusste, dass Ihr Koffer unter der Treppe stand, weil sie ihn an jeder anderen Stelle vergeblich gesucht hatten. Ein Prozess
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