Shiva Moon
schönen Tisch im ersten Stock. Der Schweizer hat uns inzwischen verlassen, dafür kommt ein Belgier, den Jaquelina ebenfalls wie einen alten Freund begrüßt. Sie ist erst drei Tage in Rishikesh, warum kennt sie schon so viele Leute? Die Antwort ist beschämend für mich. Sie ist offen, ich nicht. Der Belgier setzt sich an den Tisch und sagt:
«Ich habe heute herausgefunden, dass ich im letzten Leben ein deutscher Offizier gewesen bin, der gegen die Franzosen gekämpft hat.»
Hat er vorher eigentlich «Hallo» gesagt oder «Guten Abend»? Ich kann mich nicht erinnern. Wie hat er das denn herausgefunden?
«Durch Pendeln.»
«Und wie geht das?»
«Frag Jaquelina. Die kann es besser erklären. Aber die kann es auch so, ohne Pendel.»
Will er mit ihr schlafen?
Der Kellner eilt herbei. Supernetter Kerl. Er nimmt die Bestellung auf. Als er wieder geht, komme ich zur Sache.
«Hör mal, wenn das stimmt, dann bist du vielleicht mein Großvater gewesen. Der hat gegen die Franzosen gekämpft. In zwei Weltkriegen. Und nicht einen Schuss abbekommen. Nicht mal ’nen Streifschuss. Erinnerst du dich?»
Der Belgier übergeht das. Als hätte ich ihn was anderes gefragt, sagt er: «Mein spiritueller Name ist Siegfried.»
«Nee, dann kannst du es nicht gewesen sein. Mein Großvater hieß Wilhelm.»
Damit ist das Thema vom Tisch. Stattdessen kommen Speisen und Getränke drauf. Ich hatte etwas sehr Sahniges bestellt und schwelge darin. Die Frauen essen was anderes, der Belgier isst nichts. Er hat bereits im Ashram gespeist. Kalorienarme, ayurvedische Kost. Ich lasse Jaquelina von meinem Gericht probieren, das nimmt dem Belgier jede Chance. Esoterik ist das eine, gutes Essen das andere, mein Herr.
«Du liebst das Leben», sagt er.
«Was sonst?»
Auf diese Frage bleibt mir der Belgier die Antwort schuldig. Das Gespräch dreht sich stattdessen um andere Gemeinsamkeiten in unseren Biographien. Wir haben beide eine gute Zeit in Lateinamerika gehabt. Erin Brasilien, ich in Kuba. Natürlich, es gibt regionale Unterschiede. Aber das Wesentliche war gleich. Koks, Saufen, Weiber. Wir haben es Amor genannt. Und abgedankt. Weder der Belgier, der um ein Haar in seinem letzten Leben mein Großvater gewesen ist, noch ich nehmen noch Koks.
«Was meint ihr eigentlich dauernd mit Koks?», fragt Jaquelina.
«Kokain», antworten der Belgier und ich unisono.
Kommt sie wirklich aus Wien oder von einem anderen Stern? Ist sie wirklich Juristin oder ein Fabelwesen? Ich mag sie inzwischen richtig gern. Wie ein Engel, der frisch seinen Dienst antritt. Schade, dass sie morgen früh nach Delhi fährt. Und morgen Nacht nach Deutschland fliegt. Darum will sie jetzt auch langsam ins Hotel zurück. Sie braucht ihren Schlaf. Wem sagt sie das.
In der Nacht habe ich einen Traum. Eine Riesenschlange frisst mich. Das ist bemerkenswert, im Grunde ein Phänomen. Immer wenn ich mit dem Kiffen aufhöre, kommen die Träume zurück. Ich habe eine Theorie dazu. Sie besagt, dass Haschisch die Träume wegschlabbert, weil es an derselben Quelle zapft. Schade eigentlich. Träume sind die Tagesschau des Unterbewussten, ohne sie wird man nicht rundum informiert. Die Traumdeutung findet beim Frühstück statt. «Schlangen sind ein Symbol für Transformation», sagt Jaquelina. Also eine gute Nachricht: Mein Unterbewusstsein erzählt mir dasselbe wie mein Bewusstsein, ich verändere mich so radikal, dass man es transformieren nennen kann. Von gläubig zu ungläubig, vonromantisch zu unromantisch, vom Kiffer zum Biertrinker, vom Nomaden zum Sesshaften, vom Anarchisten zum Spießer. Das hat alles Sinn und tut nicht weh. Nur ein Problem bleibt bestehen: Was will ich dann hier? Ich meine, mit dieser Einstellung durch Indien zu fahren ist doch ähnlich schlau wie eine Reise durch Kalifornien mit Silikonallergie.
9. Scarlets Zaubersatz
Die Karre ist ein modernes indisches Auto der Marke Tata. Es sieht aus, wie Autos überall auf der Welt aussehen. Es könnte genauso gut ein Kleinwagen aus japanischer, spanischer, tschechischer oder deutscher Produktion sein. Das moderne Indien bringt uns ins moderne Indien zurück. Wie schön. Der Fahrer ist auch ’ne Schönheit. Er hat seinen Pony rot gefärbt, weil das der letzte Schrei in Bollywood ist. Er heißt Rama, wie unsere Margarine, aber das weiß er nicht. Rama mag Hindi-Pop, und der Tata hat eine gute Anlage. Startsong ist die indische Version von «Pretty Woman». Mir gefällt sie besser als das Original, obwohl ich mir
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