Shiva Moon
schließt ihre Augen, meditiert.Man kann auch sagen, sie telefoniert. Mit Maria? Und Jesus? Heute Morgen hat sie gemeint, dass sie mit den beiden öfters arbeitet. Aber auch mit afrikanischen Geistern, deren Namen ich leider vergessen habe. Warten wir es ab. Sie erwacht. Sie streichelt mit beiden Händen die Luft in kreisrunden Bewegungen. Jane sitzt währenddessen weiter am Bett und lächelt. Das geht so eine ganze Weile, dann tritt Jaquelina an den Tisch mit dem Operationsbesteck. Sie wählt einen grünen Kristall in Pyramidenform. Sie beginnt, ihn etwa in einer Höhe von zwanzig Zentimetern über meinem Körper zu bewegen. Hin und wieder stoppt sie und fixiert die Spitze des Kristalls auf einen Punkt. Aber nie berührt sie mich damit. Darum spüre ich auch nichts. Nur einmal hat kurz meine Niere gepikt. So was hat man manchmal auch ohne Kristall. Egal, es erleichtert mich. Denn sie wird mich nachher fragen, was ich erlebt habe, und dass es pikte, ohne dass sie mich berührt hat, ist mit Sicherheit ein Erfolgserlebnis für sie.
Was die Zigeuner angeht, die ich um Verzeihung bitten soll? Ich tue mein Bestes. Was immer meine Urahnen euch angetan haben, es tut mir leid. Und: Ich habe nichts damit zu tun. Ich mag Zigeuner. Ich steh auf Flamenco. Hört ihr mich? Ich bin kein Rassist. Meine Kinder auch nicht. Lasst sie in Ruhe. Und mich. Obwohl die Schwerhörigkeit manchmal auch ganz angenehm ist. Auf der Straße, unter ’ner Boeing, wenn Idioten reden. Na ja, man muss sich entscheiden. Mein Zeitgefühl lässt mich übrigens ein wenig im Stich. Waren es zwanzig Minuten? Oder eine Stunde? Endlich legt Jaquelina die kleine Pyramide zurück auf den Tisch.
Bei der Nachbesprechung zählt Jaquelina die Geister auf, die im Raum waren. Sie nennt sie beim Namen, und man soll gar nicht glauben, dass so viele Geister in einen Raum passen. Ich kenne keinen, bis auf den, der für mich am Kreuz gestorben ist. Wäre es nicht Jaquelina, sondern der Glöckner von Notre-Dame, ich würde nicht hinhören. Ich hätte allerdings auch bei ihm schon im Vorhinein die Behandlung abgelehnt. Plötzlich schreckt Jaquelina auf. Sie zeigt in eine Zimmerecke. «Da ist ein Engel», sagt sie. «Ein sehr mächtiger Engel.»
Ich schaue in die Ecke, aber sehe nichts. Wahrscheinlich trägt Jaquelina eine Engel-Röntgenbrille. Ist es mein Schutzengel? Wenn ja, dann sollte ich die Gelegenheit nutzen, ein paar Worte des Dankes an ihn zu verlieren. Er hat nicht das große Los mit diesem Klienten gezogen. Ich habe ihm ’ne Menge Arbeit gemacht. Vor allem, als ich so um die siebzehn war. Jeden Tag LSD. Erinnerst du dich? Danach war ich reif für die Klapsmühle. Oder für Indien. Über Land. Zehntausend Kilometer mit fünfhundert Mark. Du warst pausenlos im Einsatz. Gegen Steine werfende Jugoslawen, türkische Polizisten, kurdische Wölfe (die echten) und bitterböse iranische Offiziere. Nur einmal hast du geschlafen. Bei der Elefantiasis in Pakistan, wo warst du da? Na? Okay, so was fragt man in einer Dankesrede wahrscheinlich nicht. Also danke für den Libanon, als du den Hisbollah-Milizen ausgeredet hast, mich zu erschießen, und natürlich tausendmal danke für den Amazonas. Hast du dafürVerstärkung angefordert? Wahnsinn. Ein europäischer Großstadtbolide läuft mit brasilianischen, kolumbianischen und venezolanischen Goldsuchern durch den ABSOLUTEN Regenwald. Insgesamt zwei Begegnungen mit Menschen fressenden Jaguaren und mindestens drei mit Giftschlangen (pro Tag), einmal bin ich von einem Kanu versehentlich direkt auf den Rücken eines Krokodils gesprungen, und einmal haben uns Armeehubschrauber gejagt. Danken möchte ich dir auch für all die Male, an denen ich haarscharf an der Syphilis vorbeigeschrammt bin. Das warst DU, nicht die Präservative. Hast DU mir eigentlich auch da oben, an der Quelle des Ganges, eingeflüstert, Vinod nicht zu vertrauen? Wenn ja, dann auch dafür ein herzliches Dankeschön. Er hätte mich wahrscheinlich im Dschungel in die Pfanne gehauen. Ich hab’s beim Abschied gemerkt. Er wollte zehnmal so viel Geld wie abgemacht. Und er hat echt finster dreingesehen, als ich ihm nur das Doppelte gab. Erinnerst du dich? Er hat gesagt, ich soll ihm vertrauen, und du hast gesagt, hey, Mann, warum willst du jemandem ohne Not dein Leben in die Hand geben, den du erst seit zwei Tagen kennst? Und wenn ich es richtig überlege, sollte ich dir wohl auch dafür dankbar sein, dass die wahnsinnig schöne Geistheilerin derzeit Herpes hat.
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