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Shiva Moon

Shiva Moon

Titel: Shiva Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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würde mit ihm fahren und ich ein Taxi nehmen. «Ja», hat Jaba gesagt, «Taxi» und dabei strahlend auf seine Rikscha gezeigt. Und jetzt, wo ich tatsächlich Anstalten mache, mich wieder auf sie zu setzen, höre ich plötzlich empörte Rufe hinter mir. «Sir! Sir!» Ich drehe mich um und sehe Jaba. Ich habe den Falschen angesprochen. Kann man nun vielleicht erahnen, wie es um mich bestellt ist?
    Eine Stunde hin, eine Stunde zurück, dann wanke ich in das Restaurant «Zürich», gleich neben dem Coffeeshop, an dem die Spritztour begann. Es ist das beste Restaurant in der Sudder Street. Indische, chinesische, italienische Küche, es gibt sogar Kartoffelbrei, das Lieblingsgericht meiner Kindheit und das einzige, dem ich bei diesem Stand der Dinge in Sachen Zähne noch vertrauen kann. Okay, auch Suppen und Haferbrei muss man nicht kauen, aber Suppen sättigen mich nicht,und Banana Porridge haben sie nur zum Frühstück, und während ich auf mein Essen warte, stellt sich eine Bettlerin vor die Tür des Restaurants und schaut mich an. Eine junge Frau, die alt aussieht. Und lachende Augen hat. Wie Jaba. Daher kenne ich sie. Jaba hatte für die Fahrt einen schon unanständigen Preis genannt, und er tat das nicht, weil er den Charakter eines Straßenräubers hat, sondern weil er annahm, dass ich handeln würde. Ich handelte jedoch nicht. Ich sah mich nicht mehr in der Lage dazu. Ich bat ihn nur, aber das inständig, NIEMANDEM zu erzählen, WIE VIEL ich ihm für die Fahrt bezahlt habe. Und die Bettlerin, die mich fixiert, während ich auf meinen Kartoffelbrei warte, war die Erste, der er es erzählt hat, lachend und vor Glück strahlend.
    Die Bestellung dauert, denn das «Zürich» ist knallvoll, und als der Kartoffelbrei kommt, dauert’s nochmal geraume Zeit, weil ich vorsichtig esse, und die ganze Zeit steht die junge Bettlerin vor der Tür und sieht mir dabei zu. So geht das nicht, denke ich. Du bist arm, und ich bin reich, das weiß ich, und die paar Rupien, die du willst, machen mich kein Stück ärmer, das weiß ich auch, aber so geht das trotzdem nicht. Das ist kein Bitten um eine milde Gabe. Das ist Aggression. Und ich gebe ihr wirklich nichts, als ich rausgehe. Sie kommt hinterher. Sie hält mich fest. Ich mache mich los. Sie lässt nicht locker. Sie bleibt neben mir. Sie kann drei englische Wörter. «Sir» und «please» und «hungry». Ich gebe ihr nichts. Ich will es nicht. Ich will mich nicht zu guten Taten zwingen lassen, und ich will nicht, dass sie mit dieser Strategie Erfolg hat, und komisch, auch das fällt auf, mit einem Mal funktioniert mein Wille wieder.Und wie. Will er sich an der jungen Bettlerin für das Desaster rächen, das er in der Laufrikscha erlebt hat?
    In einem Internetshop werde ich sie los, aber als ich wieder rauskomme, geht es weiter. Sie folgt mir zu einem Laden, in dem ich Zahnpasta und Seife kaufe, sie folgt mir zu einem anderen, in dem ich einen Schreibblock erstehe, sie folgt mir die Straße rauf und die Straße wieder runter, und kurz bevor ich den Eingang zum «Fairlawn» erreiche, will ich mir noch an einem Kiosk Zigaretten kaufen, und auch dahin folgt sie mir und zupft an meinem Hemd und sagt «Sir, please, hungry!» und kennt plötzlich noch zwei Wörter mehr. «Only twenty-two, only twenty-two.» Das überrascht mich, nein, es berührt mich, weil in ihren Augen tatsächlich zweiundzwanzig steht, aber ihr Körper wie sechzig ist, oder wie fünfzig. Vielleicht ist es das, vielleicht bin ich auch nur ihrer und meiner Hartnäckigkeit überdrüssig, habe es satt, das Spiel bis an den Rand des Unerträglichen zu treiben, denn auch ich bin die ganze Zeit über ja nicht stumm geblieben. Auch ich habe mit ein paar Brocken Englisch geantwortet, mit «no» oder «go», oder auch mal mit einem ganzen Satz wie «I don’t like this». Und dann wieder «no» und «go» oder «go away». Ja, wohin denn? In dein Elend? In deine Dunkelheit? In dein Karma? In dein Leben? Egal wohin, geh einfach. Und lass mich in Ruhe. Ja, du hast gewonnen. Ja, ich geb dir jetzt etwas. Aber nicht den Zehn-Rupien-Schein, den ich vom Zigarettenverkäufer zurückkriege. Das ist zu viel. Ich bitte den Mann, mir die Note in Münzen zu wechseln, und gebe der jungen Bettlerin fünf davon. Fünf Rupien. Das, was sie von Indern bekommt. Und icherwarte hundert Prozent, dass sie das kritisiert, weil ich kein Inder bin. Ich erwarte ein ärgerliches Gesicht, Undankbarkeit und einen geringschätzigen Blick. Und es haut mich

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