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Shiva Moon

Shiva Moon

Titel: Shiva Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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arbeitet nicht mehr bei Mother, auch sie hat ein eigenes Hilfsprojekt. Und dann höre ich, dass Andi, den ich heute gesucht habe, ebenfalls nur noch selten im Haus der Toten ist, er hat ein eigenes Haus für Kinder gegründet. «Wahrscheinlich liegt es daran, dass man nach Mothers Tod der katholischen Kirche nicht mehr trauen kann», sage ich. Jeder nickt. Auch der Boeing-74 7-Kapitän aus Luxemburg. Obwohl er der Einzigeder Runde ist, der weiterhin regelmäßig in Mutter Teresas Haus hilft. Er hat zu wenig Zeit, etwas Eigenes aufzubauen. Nur zwei Wochen im Jahr. Aber eigentlich ist das auch egal. Wichtig ist doch nur, dass in dieser Stadt die Menschlichkeit keine Christenpflicht mehr ist, sondern Sucht. Eine Sucht nach der Freude, die man schenkt.
    So plaudern wir und trinken Bier, und irgendwann muss ich gehen, weil morgen früh um fünf Raja auf der Matte stehen wird, um mich auf der letzten Etappe meiner Reise zu begleiten. Aber ich lasse mir vor dem «Fairlawn» ein wenig Zeit, bevor ich ein Taxi ranwinke. Ich rauche noch eine. Ich hoffe noch immer, die junge Bettlerin wieder zu sehen. Ich würde ihr so gern sagen, was ich inzwischen über sie denke. Ich glaube nicht mehr, dass die Demut die Ehre des Bettlers ist. (Und sie deshalb die Klappe halten sollten.) Nein. Die Ehre des Bettlers ist es, kein Dieb zu sein.
    Blöderweise stimmt das auch umgekehrt.

12.   Big Mother Ganga
    Eine Herde von gelbschwarzen Taxis wird vor dem Hotel mit Benzin getränkt, Tee fließt durch Siebe, Lastwagen brüllen auf. Kalkutta ist pünktlich. Raja auch. Er hat einen schönen weißen Ambassador aufgetrieben. Allerdings den kleinen, was mich besorgt. Was schlecht für meinen Rücken ist, ist schlecht für meinen Zahn. Ich habe zwar noch immer keine Schmerzen, aber bin diesbezüglich weiter paranoid. Also, ich sitze auf der Rückbank, Raja sitzt neben mir, der Fahrer hat am meisten Platz. Raja will wissen, wie mein Sonntag nach dem Kino gewesen ist. Och, sage ich, so lala. Ich will’s ihm eigentlich nicht erzählen, damit er sich kein falsches Bild von mir macht. Ich bin nicht japanisiert. Ich zahl nicht jeden Preis. Ich hatte nur einen schwachen Moment. Ich erzähl’s ihm dann trotzdem. Wie ich vermutet habe, kann er es nicht fassen. Mit der Laufrikscha bis Kalighat?! Was hast du bezahlt? Nee, Raja, das sag ich dir jetzt wirklich nicht. Er hakt nicht nach. Das schätze ich an ihm. Er weiß, wann man sein Gesicht verliert. Die Fahrt aus der Stadt raus dauert. Kalkutta,das sind 1380   Quadratkilometer, und hinter der Stadtgrenze sieht es auch noch reichlich kalkuttamäßig aus. Ich erkenne den Unterschied kaum, aber fühle ihn. Die Straße verschlechtert sich konstant. Dennoch bin ich fröhlich. Das Ziel naht. Ob der Ganges mir auch an seiner Mündung noch etwas zu sagen hat? Bisher tat er das ja ganz brav. Ich wollte Klarheit? Ich habe sie bekommen. Und es wird offenbar ein richtig schöner Morgen.
    Raja redet, ich weiß nicht, was. Ich höre nicht mehr hin. Um diese Zeit mag ich keine durchgehende Kommunikation. Ich habe es da natürlich leicht. Ich brauche nur den kleinen Hebel an meinem Hörgerät nach oben zu stellen. Was bleibt, ist ein beruhigendes Murmeln. Wie der Motor. Beides zusammen erinnert mich an meine Oma, ich habe keine Ahnung, warum. Langsam wird es ländlicher. Und langsam fahren wir wirklich langsam. Je ländlicher es wird, desto mehr sieht die Straße wie eine ideale Achsenbruch-Teststrecke aus. Aber das Grün zu beiden Seiten macht es wieder wett. Palmen, Mangroven, was weiß ich. Viel Wasser. Einmal müssen wir vor einer kleinen Brücke halten, weil ein Seil davor gespannt ist. Ein Wachhäuschen steht daneben. Zwanzig Rupien Wegegeld wollen sie, um die Kosten für den Brückenbau wieder reinzukriegen. Zahlt hier eigentlich niemand Steuern? Oder stimmt es, dass die Führungskräfte in Politik und Verwaltung so korrupt sind, dass die Hälfte aller Staatseinnahmen in ihre Hände fließen und die andere Hälfte ins Militär?
    Als ich das Hörgerät wieder anschalte, stelle ich fest, dass Raja mir sein Leben erzählt. Kindheit und Jugendhabe ich verpasst, ich steige zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn ein. Es hat ihn als jungen Mann nach Rajasthan verschlagen, nach Agra. In einem großen Reisebüro arbeitete er sich schnell nach oben, warum, ist mir klar. Raja ist smart. Und kannte alle Bars. Jeden Abend nach der Arbeit trank er seine zwei, drei, vier, fünf Drinks, wie er sagt. Am nächsten Morgen, da war er

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