Shotgun Lovesongs
später kam Lee die Treppe mit rotem Gesicht wieder hinauf. »He, Kumpel, ist alles in Ordnung, kein Problem!«, sagte er, als er zurück in die Wohnung kam. »Ich habe gerade mit Kip gesprochen und er hat mir alles erklärt. Offenbar ist deine Einladung gerade eben an ihn zurückgesendet worden. Er hat wohl die falsche Adresse draufgeschrieben, oder so.«
Ronny schaute auf den Bildschirm, wo die Büffel in der endlosen Weite der Prärie grasten. »Aber das verstehe ich nicht«, sagte er. »Warum hat er mir die Einladung nicht einfach selbst vorbeigebracht? Ich winke ihm jeden Tag zu, wenn ich an der Mühle vorbeikomme.« Ronny schüttelte den Kopf darüber, wie unlogisch das alles war, und kicherte gutmütig in sich hinein.
Lee atmete aus. »Ich weiß auch nicht, Kumpel. Das ist eine gute Frage.« Seine Fäuste waren geballt. Er schaute zum Fenster hinaus. Es war ein wunderschöner Oktobertag. Die Sonne hell und klar, die Herbstblätter ein kühles Inferno über dem Land. In der Luft lag der Geruch von Dünger und überreifen Äpfeln.
Kurz darauf hielt eine Limousine vor Ronnys Wohnung und hupte sechs Mal. Lee schaute mich an, und da wurdemir zum ersten Mal klar, dass er ein Mann mit großer Macht war, dass er in der Lage war, mit einem einzigen Telefonanruf die Dinge zu regeln. Ich konnte sehen, dass er daran gewöhnt war, seinen Kopf durchzusetzen, und nur äußerst selten enttäuscht wurde.
Ronny wandte sich vom Fernseher ab und sein Gesicht strahlte vor Aufregung. »Partytime!«, sagte er und grinste. Dann klatschte er uns begeistert an den Händen ab, laut und heftig. Mir schmerzte die Handfläche.
Wir nickten. »Partytime«, sagten wir mit so viel Enthusiasmus, wie wir aufbringen konnten.
Wir gingen nach draußen zu der Limousine, die mit laufendem Motor auf der Straße wartete. Sie war mit vielen unser engsten Freunde vollgestopft, aber es waren auch ein paar fremde Gesichter darunter, unter anderem auch eine Fotografin, eine junge Frau, die zwei Kameras um den Hals hängen hatte. Sie schien mit ihrer teuren Nikon absolut jeden Moment einfangen zu wollen, der auch nur von geringstem Interesse war. Besondere Aufmerksamkeit widmete sie den Händen, in denen Sektgläser, Bierflaschen und Whiskeybecher extravagant vor sich hin schwappten.
»Jawoll!«, schrie Ronny, während er das alles auf sich einwirken ließ. »Ja! Ja! Jaaaaa! Partytiiiiiime!« Die eng zusammengepferchte kleine Menge jubelte reflexartig.
Wir duckten uns, folgten Ronny in die Limousine und setzten uns, während der Wagen bereits von der Hauptstraße abbog und sich wie eine riesige Kompassnadel in Richtung Golfplatz wandte. Im Innern des Autos spielte irgendwelche laute Musik, die ich nicht kannte. Lee beugte sich zu mir herüber. »Pass auf Ronny auf. Lass ihn nicht aus den Augen«, sagte er. »Verstehst du?« Ich nickte und mir wurde klar, dass die Limousine und die Party eine schlechteIdee gewesen waren, dass die ganze Sache eine sehr schlechte Idee war, und jetzt hatten wir uns unwiderruflich darin verfangen. Lee hatte darauf bestanden, dass Ronny eingeladen wurde, aber nun sah er, dass die Party für seinen Freund sehr gefährlich werden konnte. Er saß stocksteif da, ballte die Fäuste und seine Kiefermuskeln spannten sich.
»Schau, dass du ihm irgendwas zu trinken besorgst«, knurrte Lee mich durch den Krach hindurch an. »Aber kein Bier, überhaupt keinen Alkohol.«
Ich fischte nach einer Dose Coca-Cola und öffnete sie für Ronny, der sich ihren Inhalt unverzüglich in den Hals schüttete. »Jaaa!!«, rief er, schnappte nach Luft und wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab. »Jawoll!«
»He, hört mal alle her!«, rief Kip jetzt. »He!« Er klopfte mit einem Schweizer Taschenmesser gegen seinen Sektkelch. »Ich will etwas bekanntgeben, okay? Zeit für eine Ankündigung!« Er erinnerte mich irgendwie an einen Pfadfinderführer, der seine Truppe nicht in den Griff bekam. »Können alle mal ihre verdammte Schnauze halten? He!«
»Eine Reeeeeeede!«, schrie der wilde Haufen. »Eine Rede! Hört, hört!« Die Gruppe bestand zum größten Teil aus unseren Freunden, aber in diesem Moment hatte ich das Gefühl, als seien nur Lee und ich dort, und Ronny, der neben uns saß. Die Fotografin richtete ihre Kamera auf uns, auf Lee, und einen Moment lang blendete uns das Blitzlicht. Es war kaum überraschend, dass sie offenbar nur daran interessiert war, Lee zu fotografieren, und ich konnte mir schon jetzt lebhaft vorstellen, wie sie Ronny
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