Shotgun Lovesongs
und mich aus dem Bild herausschneiden würde. Ich fragte mich, ob so wohl der Ruhm aussah – zahllose Fremde mit Kamerasund anschließend dann irgendein blindes Porträt, mit dem man nicht gerechnet hatte. Ich musste an eine Geschichtsstunde in der Mittelstufe denken, in der wir lernten, dass einige Urvölker Amerikas glaubten, eine Fotografie von ihnen aufzunehmen, komme einem Raub ihrer Seele gleich.
»Ich kann euch gar nicht sagen, wie viel es mir bedeutet, dass ihr heute alle hier seid«, sagte Kip, »und mir dabei helft, meinen großen Tag morgen zu feiern. Ich bin überwältigt, Leute, das könnt ihr mir glauben!« Auch wenn er nicht gerade überwältigt aussah. Seine rötlich-braunen Haare waren dick und lang und mit Haaröl aus seinem engen, schmalen Gesicht gestrichen. Der sauber frisierte Bart folgte den kräftigen Konturen seines Kinns und sein Lächeln war äußerst beherrscht, fast ironisch. »Ich und Felicia«, sagte er, »wir sind wahnsinnig froh, dass ihr alle uns hier im Ort so freundlich wieder aufgenommen habt. Mit offenen Armen. Das bedeutet uns unglaublich viel. Und morgen«, und hier hielt er einen Moment inne, um nun das gesamte übertrieben bedeutungsschwere und dramatische Flair eines erfahrenen Tischredners auszupacken, »werden wir alle zu dieser riesigen alten Scheune gehen, um eine ganz großartige Hochzeit zu erleben und eine richtig zünftige Party zu feiern.«
Er war mit seinem Monolog noch nicht zu Ende, als Ronny schon »Partytime!« schrie und mit den Fäusten in die stickige alkoholschwangere Luft boxte. Einige aus der Gruppe lachten etwas unsicher, doch Lee schlang einen Arm um seinen Freund und flüsterte ihm eindringlich etwas ins Ohr. Ich schaute zu, wie Lees Lippen sich bewegten, auch wenn ich seine Worte nicht verstand. Du bleibst immer ganz dicht in meiner Nähe, Kumpel , stellte ich mir vor, ihnsagen zu hören, Wir werden zusammen ’ne tolle Party feiern, okay? Du und ich.
Kip nickte Ronny nachsichtig zu und fuhr mit seiner Rede fort. »Also hört mal«, sagte er, »ich habe euch allen ein kleines Geschenk mitgebracht, okay? Ein paar Polohemden. Es ist nichts Großes, aber he – es ist wenigstens etwas, oder? Ich möchte, dass ihr die jetzt alle anzieht. Weil heute, heute sind wir nämlich ein Team. Ein Team von Freunden. Versteht ihr? Wir sind Verbündete. Ich will, dass ihr alle Spaß habt. Ich will, dass ihr heute alles andere vergesst, okay? Alles klar. Das war’s. Ich habe gesagt, was ich sagen wollte. Und jetzt lasst uns losziehen und so richtig viel Spaß haben!«
Er griff mit beiden Händen in eine schwarze Plastiktüte und zog eine Menge roter Polohemden daraus hervor, die alle über der Brust mit zwei sich kreuzenden Golfschlägern und dem Datum dieses Tages bestickt worden waren. Kip fing an, sie zu verteilen. Er klopfte sogar an das Plexiglasfenster der Fahrerkabine und gab dem Fahrer ein Hemd. Dann reichte er auch der Fotografin eins. Es schien ihr mindestens eine oder zwei Größen zu klein zu sein, und ich schaute weg, während sie mutig ihre Bluse auszog und das viel zu enge Shirt überstreifte. Einige aus der Gruppe begrüßten mit begeistertem Johlen die frustrierend kurze Sicht auf ihren nackten Bauch und ihren BH. Und dann warf Kip jedem seiner versammelten Freunde ein Hemd zu. Jedem außer Ronny Taylor, dessen Miene fast unmerklich immer enttäuschter wurde, während er wartend mit leeren Händen dasaß. Lee merkte es sofort und gab sein Polohemd an Ronny weiter.
»Das ist deins, Kumpel«, sagte er. »Kip hat wohl vergessen, mir eins zu besorgen.«
Aber während Ronny seinen Freund anschaute, bewies sein trauriger Gesichtsausdruck, dass er verstanden hatte. Er zögerte einen Moment, bevor er sein eigenes T-Shirt auszog, und dann sahen wir die Narben aus seiner Rodeozeit. In der Nähe seiner Schulter war eine ziemlich scheußliche Wunde, wo ein Stück Fleisch fehlte und man die unbeholfenen Nähte eines Rodeosanitäters oder der Notaufnahme irgendeines Kleinstadtkrankenhauses sehen konnte. Sein Bauch war immer noch bewundernswert flach und muskulös. Auf seiner Brust über dem Herzen war eine Tätowierung mit verschwommenen Buchstaben: Corvus – Lees Künstlername –, zusammen mit dem flüchtig hingeworfenen Bild einer Krähe, die auf einem Telefonkabel hockte. Die Tätowierung war fast zehn Jahre alt. Sie war schon lange, bevor Lee überhaupt berühmt wurde, da gewesen, zu einer Zeit, als wir alle noch fast Kinder waren.
»Ich kann immer
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