Showdown (German Edition)
reichte vom Fußboden bis zur Decke. Alte und ausgebleichte Neonröhren, von denen des Nachts nur jede dritte eingeschaltet war, zogen sich die Gänge entlang. Sie waren so alt, dass das Weiß in eine schimmelige Elfenbeinfärbung übergegangen war, und pulverisierter und oxidierter Leuchtstoff hatte sich in den Röhren abgesetzt. Aufgrund ihres erbarmungswürdigen Zustands lag über der untersten Etage der New York State Library ein gelblicher Glanz, der unheimlich wirkte.
Die New York State Library. Einhundert Jahre alt, ein stummes Heiligtum der Geschichte und des Wissens – und ebenso Besitzerin von zwölf brandneuen Pentium-III-Computern, deren Festplatten bald im Hinterzimmer von Mike Frasers Wohnung wiederzufinden sein würden.
Fraser überprüfte das Schloss an der Tür.
Ein Sicherheitsschloss.
Von der Umspannstation aus benötigte man keinen Schlüssel, aber von der Bibliothek aus sehr wohl. Es war eine dieser Automatiktüren, die den Neugierigen draußen halten, dort arbeitende Elektriker jedoch nicht versehentlich einschließen sollten.
Fraser überlegte einen Augenblick lang. Wenn er einen hastigen Rückzug antreten müsste, bliebe ihm keine Zeit, das Schloss zu knacken. Er schaute sich suchend um.
Das wird’s tun, dachte er, als sein Blick auf das Regal gleich neben ihm fiel. Er schnappte sich das erstbeste Buch und verkeilte es zwischen der roten Tür und dem Rahmen.
Jetzt würde sie mit Sicherheit nicht zufallen, und Fraser huschte den nächsten Gang hinunter. Bald war die kleine rote Tür mit der Aufschrift UMSPANNSTATION – KEIN ZUTRITT FÜR BIBLIOTHEKSPERSONAL lediglich noch ein winziges Rechteck in der Ferne. Mike Fraser bemerkte es nicht einmal. Er wusste genau, wohin er jetzt wollte.
Terry Ryan warf – wieder einmal – einen Blick auf seine Uhr.
Es war 2.15 Uhr. Vier Minuten nachdem er das letzte Mal nachgesehen hatte, wie spät es war. Er seufzte. Meine Güte, bei diesem Job kroch die Zeit förmlich dahin!
Statusüberprüfung: Kontrolleure des
dritten Elements bestätigen, dass
Lieferung vollständig erfolgt.
Ryan blickte müßig durch die gewaltigen, vom Boden bis zur Decke reichenden Fenster des Atriums der New York State Library. Nichts regte sich draußen auf den Straßen.
Er berührte die Waffe an seiner Seite und stieß ein Gelächter aus. Wachmänner in einer Bibliothek – einer Bibliothek, um Gottes willen! Die Bezahlung blieb allerdings dieselbe, vermutete er, und solange das so bliebe, war es Terry Ryan völlig gleichgültig, was er bewachen sollte.
Er schlenderte weiter im Atrium umher, pfiff leise vor sich hin …
Ping – ping.
Er erstarrte.
Ein Geräusch.
Da, da war’s wieder: Ping – ping.
Ryan hielt den Atem an. Es war von links gekommen. Er zog die Waffe.
Fluchend hob Mike Fraser hinter dem Infoschalter seinen Schraubenzieher vom Fußboden auf. Er lugte über die Theke.
Links war niemand. Rechts auch nicht. Er atmete tief aus. Niemand hatte …
»Keine Bewegung!«
Fraser fuhr herum. Er erfasste rasch die Lage. Wachmann. Waffe. Vielleicht fünfzehn Meter, höchstens zwanzig. Blieben nicht viele Möglichkeiten.
»Ich habe gesagt: keine Bewegung!«, schrie Terry Ryan. Aber der Dieb hatte bereits das Weite gesucht. Ryan rannte hinterher.
Fraser stürmte einen schmalen Gang hinab, und die Bücher auf den Regalen wurden zu verwischten farbigen Streifen. Im Schädel vernahm er laut und deutlich seinen Herzschlag. Dann sah er auf einmal die Tür vor sich. Und das Schild: TREPPENHAUS.
Im Rennen packte Fraser das Geländer und rutschte daran die erste Treppe hinab. Zwei Sekunden später folgte der Wächter, Ryan, immer drei Stufen auf einmal nehmend.
Hinab, hinab, herum, herum. Fraser klammerte sich ans Geländer und warf sich an jeder Kehre herum. Er sah die Tür unten. Er jagte die letzte Treppe hinab und prallte unvermindert rasch auf die Tür. Sie flog ganz leicht auf – zu leicht –, und Fraser schlug der Länge nach auf den harten Holzboden.
Hinter sich hörte er schwere Schritte die Stufen hinabpoltern.
Fraser streckte die Hand nach dem Regal neben sich aus, um sich daran hochzuziehen. Sogleich verspürte er einen sengenden Schmerz im rechten Arm. Da fiel sein Blick auf sein Handgelenk. Es hatte die volle Wucht des Sturzes abbekommen und war jetzt zweifelsohne gebrochen, denn es stand in einem grotesken Winkel nach hinten.
Fraser biss die Zähne zusammen und zog sich mit dem gesunden Arm hoch. Er war gerade wieder auf die Beine gekommen,
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