Showdown
denken Sie beim Lesen dieser Zeilen, dass das auch keine sonderliche Verschlechterung der Situation wäre, und wenn man sich so manche Fußgängerzonenbefragung auf RTL 2 ansieht, fällt es einem sicherlich schwer, sich noch für ein allgemeines Wahlrecht auszusprechen. Aber ernsthaft betrachtet: Man sollte die Bürger nicht für dumm verkaufen. Die Ergebnisse in der Schweiz sprechen eine klare Sprache. Weder ist dort jemals »Emil« in die Politik aufgestiegen, noch haben die Schweizer sich in einer Volksabstimmung für Freischoggi für alle ausgesprochen. Im Gegenteil. Die Volksbefragungen in der Schweiz bringen oft überraschend logische Ergebnisse. So gab es im März 2012 eine Volkabstimmung darüber, ob der gesetzliche Mindesturlaub von vier auf sechs Wochen angehoben werden soll. Das Ergebnis war verblüffend: 67 Prozent der Schweizer stimmten gegen eine Erhöhung des Urlaubsanspruchs, da sie dadurch die Arbeitsplätze in der Schweiz gefährdet sahen. Sollten wir wirklich annehmen, dass wir anderen Europäer unmündiger und naiver sind als die Schweizer? Natürlich haben hier ebenfalls alle Lobbygruppen der Arbeitgeberverbände ihre Kampagnen im Vorfeld gefahren. Aber jetzt konnte sich jeder Bürger selbst entscheiden, ob er den Argumenten der Arbeitgeber oder den Argumenten der Gewerkschaften mehr Gewicht beimaß. Im Zeitalter des Internets sind solche Abstimmungen auch ohne europaweite Massenbewegungen zu den Wahllokalen möglich. Eine Volksabstimmung via Internet würde zu vielen Themen die Interessierten an die Tastatur locken.
Schon heute beginnt sich diese Pflanze der dezentralen europäischen Mitbestimmung ganz von alleine zu entwickeln. Helfen wir mit, sie zu düngen und zu stärken. Zu Beginn des Jahres 2013 starteten mehrere »Bürgerlobbys« wie »Europäisches Armutsnetzwerk«, »Europäisches Umweltbüro«, »Women in Europe for a Common Future« im Verbund mit einigen Gewerkschaften eine große Internetkampagne mit Online-Petition, um eine Wasserprivatisierung zu verhindern. Über die Internetseite www.right 2 water.eu kamen bis Februar 2013 über 1 , 2 Millionen Unterzeichner zusammen. Hintergrund ist ein neues Instrument der Europäischen Union, um jene Demokratisierung voranzutreiben. Dieses Instrument heißt Europäische Bürgerinitiative ( EBI ). Die Bürger können auf diese Weise ein beliebiges Thema auf die europäische politische Agenda setzen, wenn sie es schaffen, insgesamt eine Million Unterzeichner aus mindestens sieben EU -Ländern zusammenzubringen.
Natürlich ist das nur ein erster kleiner Schritt, aber auch der längste Marsch beginnt bekanntlich mit diesem einen ersten Schritt. Wenn man ihn nicht gehen will, weil er einen eh nur einen Meter voranbringt, kann man sein Ziel nie erreichen. Hier braucht es Visionen, Begeisterung und vor allem Engagement. Wenn sich keiner engagieren will mit dem Bequemlichkeitsargument »Die da oben machen eh, was sie wollen«, dann wird die EU sich genau zu jenem Selbstbedienungsladen der Industrie entwickeln. Wenn wir nicht bereit sind, unsere Interessen einzufordern, dürfen wir uns nicht beschweren, wenn diese Interessen kein Gehör finden.
Die Entscheidungen der Politiker müssen wesentlich transparenter werden und die Brüsseler Strukturen für alle nachvollziehbar. Eine echte Demokratisierung der EU -Organe ist notwendig. Wenn die verantwortlichen Politiker das nicht verstehen, wenn sie es nicht schnell und energisch umsetzen, wird das Projekt Europa am Widerstand seiner Bürger scheitern. Das wäre schade, und es ist nicht notwendig. Noch haben wir die Möglichkeit, ein Europa der Menschen mit möglichst transparenten, demokratischen und dezentralen Strukturen zu schaffen. Ich hoffe inständig, dass wir Bürger es schaffen, dieses Europa in unserem Sinne zu formen und die notwendigen Veränderungen zu erzwingen.
Wichtige Schritte dazu gibt es bereits, die meist von uns Bürgern ausgehen. Vereinzelte Initiativen, die dezentral entstehen, sich über das Internet viral verbreiten, bis die klassischen Medien sie ebenfalls nicht mehr übersehen können und ihnen eine breitere Plattform verschaffen. Eine der besten demokratischen Kontrollinstanzen der letzten Jahre ist die deutsche Internetseite abgeordnetenwatch.de geworden, wo sich jeder Bürger über die deutschen Abgeordneten von den Kommunen über Landtag und Bundestag bis zur EU im Detail informieren kann. Wer bezieht welche Nebeneinkünfte, wer hat in welcher Frage wie abgestimmt, und in
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