Showdown
Industrie ausgerichtete Entscheidungsfindung, die die Übermacht der Industrielobby gegenüber der Bürgerlobby veranschaulicht. Hier muss Deutschland im Sinne der Vereinheitlichung seinen Verbraucherschutz lockern, weil er in anderen Staaten der EU ebenfalls lockerer ist. Das ist eine Ungeheuerlichkeit. Die neuen übergeordneten Regelungen sollten sich am schärfsten Grenzwert orientieren und nicht am schwächsten.
Mit der nun angekündigten europäisch-amerikanischen Freihandelszone kommen ganz neue Gefahren auf die Bürger beiderseits des Atlantiks zu. Denn eine solche Freihandelszone bedeutet, dass der Handel – die Regeln für die Industrie – erleichtert wird. Das ist der einzige Sinn darin. Die Regeln, die vereinheitlicht werden sollen, sind aber meist solche, die im jeweiligen Land zum Schutz des Verbrauchers erlassen wurden. Eine Vereinheitlichung wird mit höchster Wahrscheinlichkeit so ablaufen, dass die jeweils schwächste Regulierung künftig für alle gilt. Ansonsten würde es die Arbeit der Industrie ja nicht erleichtern, sondern erschweren. Wenn also in Europa Hühnchen bislang verboten sind, die zum Zweck der Desinfizierung durch Chlorwasser gezogen wurden, während sie in den USA – der dortigen Agrarlobby sei Dank – zum Alltag gehören, dann werden auch wir uns künftig daran gewöhnen müssen, denn es sollen ja dieselben Regeln gelten. Das gilt für Genmais ebenso wie für viele andere Regelungen.
Auch hier sollte sich die Bürgerlobby auf beiden Seiten des Atlantiks rechtzeitig und mit Macht erheben, damit sich eine solche »Vereinheitlichung der Handelsvorschriften« möglichst oft am strengsten Richtwert orientiert und eben nicht am schwächsten. Sonst geht es uns in allen Bereichen so wie beim Kinderspielzeug. Die Industrie jubelt auf Kosten der Verbraucher. Jahrzehntelange Abnutzungskämpfe für ein klein bisschen mehr Verbraucherschutz hier oder einen schärferen Grenzwert dort, mit denen wir uns immer wieder ein bisschen mehr Sicherheit und Lebensqualität erstritten haben, würden mit einer Tsunamiwelle zunichtegemacht. Eine Freihandelszone kann eine sinnvolle Einrichtung sein, aber nur, wenn sie richtig gestaltet wird und die Interessen der Menschen und der Industrie mindestens gleich gewichtet.
Es gibt viele Dinge, die in Europa gemeinschaftlich und für alle Bürger gemeinsam organisiert werden sollten. Es ist sinnvoll, dass die technischen Grundanforderungen an einen Pkw in der EU einheitlich sind, damit der BMW oder Peugeot in jedem Land ohne technische Umrüstungen verkauft werden kann. Aber welchen Gemeinschaftssinn soll das Verbot von Glühbirnen haben? Der Bürger sollte selbst entscheiden, ob er lieber mehr Strom bezahlt und dafür die Vorteile der Glühbirne nutzt oder weniger für Strom ausgeben möchte und sich alternative Leuchtmittel sucht. Das hat Brüssel einfach nicht zu interessieren. Was geht es Brüssel an, welche Öffnungszeiten ein Bäcker in Reilingen einzuhalten hat? Das ist einzig dessen Angelegenheit und betrifft allerhöchstens noch die Bäckerkollegen im selben Ort, weshalb solche Öffnungszeiten Sache der Gemeinde sein sollten.
Es wird sich am Ende die Gretchenfrage zur Akzeptanz und zum Überleben des Projekts Europäische Union stellen. Gelingt es uns, europaweit eine dezentrale Organisation des politischen Lebens zu installieren, in der so viel wie möglich im jeweils kleinsten Organisationsraum entschieden wird? In der so wenig wie nötig in den jeweils übergeordneten Einheiten entschieden wird? Dort, wo wichtige Entscheidungen anstehen, die alle Bürger der EU betreffen, genügt es eben nicht, ein paar weit entfernte Repräsentanten den Versuchungen der einflussreichen Lobbyisten zu überlassen. Hier muss es eine wesentliche direktere Einflussnahme der Bürger geben.
Volksentscheide sind das erste Mittel der Wahl. Warum soll man sich nicht ein Beispiel an erfolgreichen politischen Systemen nehmen und in die Schweiz schauen. Selbst in einer so kleinen Struktur wie der Schweiz maßen sich die Abgeordneten nicht an, jede Entscheidung für den Bürger zu fällen. Hier gibt es Volksbegehren und Volksentscheide zuhauf, nur so lässt sich im Zweifel die Legitimation der politischen Entscheidung erreichen. Unsere Politiker verweigern diese Volksentscheide mit dem Verweis auf das Unwissen der Bevölkerung. Da käme nichts Vernünftiges bei raus, und am Ende wären Dieter Bohlen Bundeskanzler und Cindy aus Marzahn seine Außenministerin.
Möglicherweise
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