Showman
Mitternacht!
War das ein Omen?
***
Die Nachtluft war kühl, und sie strich durch das Gesicht der einsamen Frau. Doris hatte das Haus verlassen und sich nach rechts gewandt. Sie ging ziellos durch die Straßen.
Ihr Freund lebte in einer Gegend, in der die Zeiten noch getrennt waren.
Da war der Tag auch der Tag, und die Nacht war die Nacht. Beides strikt getrennt. Hier wurde die Nacht nicht zum Tag gemacht, es herrschte eine normale Ruhe, denn die Bewohner mußten morgens früh aufstehen, um zur Arbeit zu fahren.
Die meisten lagen um die Tageswende herum schon im Bett, deshalb waren auch nicht viele Fenster erleuchtet. Und ferngesehen wurde um diese Zeit auch nur noch hier und da.
Die Frau fühlte sich allein. Es gab nicht nur die eine Straße, rechts und links existierten schmale Einfahrten, die zu irgendwelchen Hinterhöfen führten, die ebenfalls bebaut worden waren und wo Familien lebten oder Garagen standen.
Der Himmel zeigte sich nicht zu klar. Wolken zogen träge über ihn hinweg.
Langsam ging auch Doris Carter. Sie bewegte nach jedem zweiten Schritt den Kopf, weil sie nach demjenigen Ausschau hielt, der sie hergelockt hatte.
Dabei blieb es nicht aus, daß sie auch in die schmalen Einfahrten hineinschaute, aus denen hin und wieder flüsternde oder kichernde Stimmen drangen. Sie hörten sich allesamt fremd an.
Irgendwo hupte ein Auto. Sehr laut und aggressiv. Doris hörte auch eine wütende Männerstimme, dann röhrte ein Motor auf.
Von vorn her tanzte etwas auf sie zu. Ein Licht, das sich in einer bestimmten Höhe bewegte. Auch auf die Straße fiel sein blasser Schleier.
Es war ein einsamer Radfahrer, der an Doris vorbeifuhr und ihr nur einen kurzen Blick zuwarf.
Autos standen dicht an dicht am Straßenrand. Hier hätte niemand mehr eine Lücke gefunden. Die Wagen kamen Doris vor wie ein Bandwurm aus Metall, nur eben unterschiedlich hoch.
Aus der Einfahrt rechts von ihr hörte sie plötzlich ein Geräusch, das sie stutzen ließ.
Es paßte nicht zu den anderen. Es war kein Kichern, kein Lachen oder Flüstern. Eher ein Pfeifen, und es galt ihr.
Doris Carter wußte es genau. Es war wie eine Blitzidee, die sich in ihrem Kopf festsetzte.
Aus der normalen Gehbewegung hervor stoppte sie ihren Schritt und blieb in Höhe der schmalen Einfahrt stehen.
Um hineinzuschauen, mußte sie über die Dächer der abgestellten Autos blicken. Sie sah die Öffnung, sie sah den Schatten – und sie sah hinter ihm das Licht.
Gelblich, ruhig. Es wurde nicht von einem Scheinwerfer abgegeben, es war einfach da und umspielte die düstere Gestalt mit dem finsteren Gesicht.
Der Showman war da, und er grinste unbeschreiblich häßlich.
Plötzlich fühlte sich die Frau erleichtert, denn es war genau das eingetreten, was sie erwartet hatte. Da sie keine Lücke zwischen den abgestellten Autos fand, die breit genug war, machte sie es sich einfach und überquerte kurzerhand eine Motorhaube. Sie blieb dann auf dem Gehsteig für einen Moment stehen, wobei sich ihr Blick dort festsaugte, wo die Einfahrt begann.
Sie wußte nicht genau, wo sich der Showman aufhielt, ging aber davon aus, daß es ungefähr die Mitte war.
Das Licht war nicht sehr hell. Es umspielte ihn und hatte sich als schwacher Schein links und rechts auf die Wände gelegt, deren Steine feucht schimmerten.
Der Showman brauchte kein Wort zu sagen. Nahezu freudig betrat Doris die Einfahrt. Sie war kaum einen Schritt auf die Gestalt zugegangen, als diese ihre Arme ausstreckte. Hände fuhren aus den Kuttenöffnungen hervor.
Nein, es waren schrumpelige Klauen mit langen Fingernägeln, die sie schon einmal berührt hatten. Sie würden sie wieder berühren, doch davor fürchtete sich Doris jetzt nicht mehr. Für sie war der Showman ein König.
Der Boden war schmutzig, aber nicht mit Abfall oder Gerumpel bedeckt, so daß sie normal gehen konnte. Die Frau empfand das Licht auch heller, wo sie näher an die Gestalt herangekommen war. Der Showman erwartete sie nach wie vor grinsend, wie ein Mann, der an einem bestimmten Treffpunkt lange auf seine Geliebte gewartet hat.
»Komm her zu mir…«
Doris lauschte dem Klang der Stimme. Und sie hörte ein Krächzen, vermischt mit einem Grollen, das aus irgendwelchen Tiefen seines Körpers hervordrang.
Ihre Furcht war verschwunden. Schon freudig erregt legte sie die trennende Entfernung zurück, um sich in die Arme des Showman zu drücken, doch er hatte etwas dagegen. Er streckte ihr nur die Arme entgegen und faßte sie an den
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