Shutter Island
Licht zu einem Hagel aus heißen Nägeln werden ließen, und einmal – zum Glück nur einmal – war er anderthalb Tage teilweise gelähmt gewesen. Die Migräne – seine jedenfalls – suchte ihn nie im Stress oder während der Arbeit heim, sondern hinterher, wenn sich alles beruhigt hatte, wenn keine Bomben mehr fielen, wenn die Verfolgungsjagd vorbei war. Dann kamen die Schmerzen – im Ausgangslager, in der Kaserne oder, nach dem Krieg, in Motelzimmern oder auf der Heimfahrt über ländliche Highways – und wüteten fürchterlich. Das Geheimnis war, hatte Teddy längst herausgefunden, sich zu beschäftigen und zu konzentrieren. Wenn er in Bewegung blieb, konnten sie ihn nicht erwischen.
»Was weißt du über die Insel?«, fragte er Chuck.
»Ist eine Nervenheilanstalt, mehr weiß ich nicht.«
»Für kriminelle Geisteskranke«, ergänzte Teddy.
»Na, sonst wären wir nicht hier«, sagte Chuck.
Teddy sah wieder das trockene Grinsen in Chucks Gesicht. »Man weiß nie, Chuck. Du machst jedenfalls keinen hundertprozentig charakterfesten Eindruck auf mich.«
»Vielleicht leiste ich eine Anzahlung auf ein Bett, wo wir schon mal da sind, für später, damit sie mir auf jeden Fall eins freihalten.«
»Keine schlechte Idee«, sagte Teddy. Die Motoren setzten kurz aus, der Bug drehte sich mit der Strömung nach steuerbord, dann brummten die Motoren wieder los, und Teddy und Chuck blickten auf das offene Meer, während die Fähre achtern auf den Anleger zusteuerte.
»Soweit ich weiß«, sagte Teddy, »haben die sich hier auf Radikalmethoden spezialisiert.«
»Kommunistische?«, fragte Chuck.
»Nein, keine kommunistischen«, sagte Teddy. »Bloß radikale Methoden. Das ist was anderes.«
»In letzter Zeit kann man sich da nicht mehr sicher sein.«
»Stimmt, manchmal nicht«, bestätigte Teddy.
»Und diese entflohene Frau?«
»Ich weiß nicht viel«, entgegnete Teddy. »Sie ist letzte Nacht entwischt. Hab ihren Namen im Notizbuch. Ich nehme an, alles Weitere wird man uns noch mitteilen.«
Chuck ließ den Blick übers Wasser schweifen. »Wo will sie hin? Nach Hause schwimmen?«
Teddy zuckte mit den Schultern. »Offenbar haben die Patienten hier die unterschiedlichsten Wahnvorstellungen.«
»Sind die schizophren?«
»Denke ich, ja. Stinknormale Mongoloide findet man hier mit Sicherheit nicht. Hier gibt’s keine Typen mit Schlafstörungen oder welche, die Angst vor Löchern im Bürgersteig haben. Soweit ich das aus den Akten ersehen konnte, sind die Leute hier, nun ja, richtig plemplem.«
»Aber wie viele tun nur so, was meinst du?«, fragte Chuck. »Das hab ich mich schon immer gefragt. Erinnerst du dich noch an die ganzen Kriegsneurotiker? Wie viele von denen tickten wirklich nicht ganz richtig?«
»Ich war in den Ardennen, und da war einer –«
»Du warst in den Ardennen?«
Teddy nickte. »Und dieser Kerl, der ist eines Tages aufgewacht und hat nur noch rückwärts gesprochen.«
»Wörter oder Sätze?«
»Sätze«, sagte Teddy. »Zum Beispiel: ›Sarge, Blut viel zu heute ist hier.‹ Am Abend haben wir ihn in einem Fuchsbau gefunden, da schlug er sich mit einem Stein auf den Schädel. Einfach so. Immer wieder. Wir waren so platt, dass wir erst hinterher gemerkt haben, dass er sich die Augen ausgekratzt hatte.«
»Du willst mich verarschen.«
Teddy schüttelte den Kopf. »Jahre später hab ich mit einem gesprochen, der den Blinden in einer Veteranenklinik in San Diego gesehen hatte. Angeblich redete er immer noch rückwärts, außerdem war er irgendwie gelähmt, nur konnte kein Arzt die Ursache feststellen. Er saß den ganzen Tag im Rollstuhl am Fenster und redete von seinen Feldern, er müsste auf seine Felder. Bloß dass er aus Brooklyn kam.«
»Hm, wenn einer aus Brooklyn kommt und sich für ’nen Bauern hält, dann muss er echt eine Neurose haben.«
»Eindeutiger geht’s nicht.«
2
DER STELLVERTRETENDE ANSTALTSLEITER McPherson holte sie am Anleger ab. Für einen Mann seines Ranges war er jung, und sein blondes Haar war ein wenig länger als üblich. Er bewegte sich mit einer schlaksigen Anmut, die Teddy an Texaner oder generell an Männer denken ließ, die mit Pferden aufgewachsen waren.
Flankiert wurde er von Krankenpflegern. Die meisten waren Schwarze, nur wenige Weiße mit abgestumpftem Gesichtsausdruck waren darunter. Sie sahen aus, als hätten sie als Kinder nicht genug zu essen bekommen und seitdem eine Stinkwut im Bauch.
Die Pfleger trugen weiße Hemden und Hosen und traten als
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