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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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das ihr der Sanitäter reichte. »Vor einem Sterbenden stehen Sie und denken an neue Opfer.«
    »Verlangen Sie, daß wir diesen Anschlag ungestraft lassen?« rief Mamjelew so heftig, daß Nasarow aufstöhnte, als habe ihn dieser laute Ton getroffen und schmerze ihn.
    »Hinaus!« sagte Walja und riß das nasse Tuch von ihren Augen. »Sofort hinaus mit Ihnen. Sie kommen hier nicht mehr hinein, bis ich es erlaube. Verlassen Sie das Zimmer!«
    Mamjelew knirschte mit den Zähnen, die Offiziere grüßten stumm ihren Kommandeur und gingen dann leise aus dem Raum. Walja Borisowna beugte sich weit zu Nasarow vor und starrte ihm ins Gesicht. Seine Lider zuckten, die Lippen klafften auseinander. Sein Atem roch wie Sumpfgas. Starb er jetzt?
    Schemjakin fuhr, als Tochter Walja auch zum Mittagessen nicht erschien, hinaus auf die Baustelle und sah, wie Jugorow mit seinem Traktor wieder Trümmer wegschleppte und dann von einem Lager gestapelte Stahlplatten abholte, die man zur Einschalung neuer Betonwände für den Damm brauchte. Erst jetzt, beim Wegräumen der Trümmer des gesprengten Dammes, erkannte man das ganze Ausmaß der Zerstörung. Das von Moskau aufgestellte Planziel war nicht mehr zu verwirklichen.
    Mit beiden Armen winkte Schemjakin zu Jugorow hinüber. Der änderte die Richtung, donnerte auf Schemjakin zu und hielt neben ihm. Mit einem Blubbern erstarb der starke Motor.
    »Du hast gesagt, Igor Michailowitsch, du liebst meine Tochter«, sagte Schemjakin, und man sah, wieviel Mühe es ihn kostete, darüber zu sprechen.
    »Daran hat sich nichts geändert, Boris Igorowitsch.«
    »Dann geh und hol sie von Nasarows Bett weg, wenn sie nicht vor Erschöpfung sterben soll. Ich schaff's nicht.«
    Jugorow sprang von seinem Traktor in den kleinen Wagen von Schemjakin, und sie rasten zurück ins Lager, als sei jede Minute lebensrettend. Mit weiten Sätzen rannte Jugorow ins Hospital.
    Walja saß noch immer neben Nasarow und starrte ihn an. Noch mehr war sein Gesicht eingefallen, aber er atmete, wenn auch sehr flach. Sie drehte sich um, als Jugorow ins Zimmer kam, und er erschrak über ihr Aussehen. Fahl war ihre Haut, die Augen schwarz umrändert, die Lippen nur noch ein Strich. Jugorow trat zu ihr, drückte ihren Kopf an seine Brust und streichelte ihr Haar.
    »Leg dich hin, Waljaschka«, bat er sie leise. »Bitte! Ich bleibe hier und übernehme die Wache.«
    »Ich kann nicht, Igor.« Sie blickte unverwandt auf Nasarow, als sei er ein Magnet, der sie festhielt.
    »Es genügt, wenn einer stirbt«, sagt Igor dumpf.
    »Wer stirbt denn?« Sie warf sich herum, umklammerte ihn und drückte sich an ihn. Die Kraft, die noch in ihr war, übermannte Jugorow. »Er lebt, Igor!« rief sie und holte mehrmals tief Atem. »Ich habe ihn operiert, und er lebt!«
    Wie schon zwei Tage zuvor hatte sich ganz Lebedewka wieder in der Stolowaja versammelt. Neugierig war man, was der Genosse Niktin aus Tobolsk zu sagen hatte. Beschimpfungen waren es sicherlich, Anklagen, Drohungen, und man war bereit, das alles stillschweigend hinzunehmen.
    »Keine Reaktionen, liebe Brüder und Schwestern!« hatte Korolew als Parole ausgegeben. »Laßt ihn ins Leere laufen. Kein Wort, kein Zwischenruf. Im luftleeren Raum soll er ersticken.«
    Dazu war es nötig, Großväterchen Beljakow von der Versammlung fernzuhalten. Aber da kannte man den Alten schlecht! »Was?!« schrie er seinen Sohn Beljakow II an. »Ha! Was ist das?! Fernhalten will man mich von einem so wichtigen Abend? Halt den Mund, du Schielbock! Nicht krank bin ich, nicht lahm in den Beinen … sieh dir an, wie gesund ich bin.« Er schwang seinen Stock und – weiß Gott, woher der Alte die Kraft nahm – schwankte ohne Stütze durch das Zimmer, hob sogar ein Bein und schrie: »Jetzt gibt's ein Tänzchen!«, hüpfte wie ein sterbender Hahn, verdrehte die Augen, schnaufte erschreckend und klammerte sich dann am Ofen fest, als ihn ein Hustenanfall durchrüttelte.
    »Ha, wie gesund ich bin!« keuchte er und krümmte sich beim Ausspucken von Schleim. »Mach's nach, Söhnchen, verfluchtes. Wer mich krank nennt, der muß eingesperrt werden.«
    Was sollte man machen? Am Abend stand Großvater Beljakow wieder in der ersten Reihe der wartenden Menge, Großmutter im Rollstuhl vor sich und um sich herum die ganze zahlreiche Familie Beljakow. Korolew warf einen strafenden Blick auf Beljakow II, der hob nur hilflos die Schultern, zeigte auf den Alten und bat stumm um Verzeihung.
    Jossif Wladimirowitsch Niktin, der mit einem

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