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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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berichten. Keine Schonung verdienen sie, keine Rücksicht, keine Humanität! Sechstausend Klopse … Unerhört!«
    In der Stolowaja tobte nach wie vor der Kampf der Familie Beljakow. Die anderen Bewohner von Lebedewka waren fast alle schon gegangen, als der Alte noch immer um sich schlug, alle Welt Hurensöhne nannte und durch nichts zu beruhigen war. Erst als Masuk auf ihn zutrat und von ihm hören mußte, er sei ein Ziegenarsch, worauf die Antwort kam, Großvater sei eine Schande für die Armee und seine Orden müßten allesamt verrosten und verschimmeln, knickte der Alte kraftlos zusammen, klammerte sich an der Lehne des Rollstuhls fest und sagte kläglich: »Söhnchen, führ mich hinweg. Hinweg von hier! Wie hat sich doch die Welt verändert …«
    In Nowo Gorodjina eilte Niktin sofort zu Schemjakin ins Büro und ließ sich gebrochen auf einen Stuhl fallen. Die Größe seiner schmählichen Niederlage begriff er erst jetzt in vollem Maße und war dem Weinen nahe.
    »Aus der Hölle komme ich, Boris Igorowitsch«, stammelte er. »Aus der Hölle! Was habe ich erlebt … unsagbar ist's. Man kann's nicht schildern. Arbeiten mit einer Geheimsprache. Ihr Kampfruf ist: Sechstausend Klopse! Danach werden sie wild wie Kannibalen. Eine Höllenbrut, ich sag's! Den Mordversuch an Nasarow … ha, zuzutrauen ist's ihnen. Alle sollen es wissen … Tobolsk … Moskau …«
    Der schreckliche Verdacht fiel über Lebedewka wie ein Netz. Kein Entrinnen gab es mehr, die Schuld lag nun auf jedem, und an Krasnikow und Meteljew vorbei, die nichts von Niktins Informationsabend wußten, lief die alarmierende Meldung nach Moskau.
    Am nächsten Morgen hatte sie General Kulpakow in der Zentrale des KGB auf dem Tisch, rot umrandet.
    Kulpakow beendete erst sein Frühstück – Spiegeleier mit Schinken, Räucherlachs und Stör in Aspik, dazu einen köstlichen Tee aus dem Gebiet nördlich von Sotschi, aus den Plantagen von Dagomys –, rauchte noch ein zierliches Zigärrchen aus Grusinien, gekauft im KGB-Offiziersklub gegenüber der Lubjanka, und rief dann seinen Freund aus alten Tagen an: General Tjunin von der GRU.
    »Mein guter Anatoli Borisowitsch«, sagte Kulpakow nicht ohne Hohn in der Stimme, »einen schönen Morgen. So warm scheint noch die Sonne …«
    »Was ist los, Valentin Valentinowitsch?« fragte Tjunin ohne Zögern.
    »Deine zwei Buben sind am Tobol?«
    »Das weißt du doch.«
    »Major Nasarow wird fast ermordet. Der Leiter Öffentlichkeitsarbeit, Genosse Niktin, wird gestern fast gelyncht. Und deine beiden Knaben? Sie spielen Murmel, wie es scheint.«
    »Was ist mit diesem Niktin?« fragte Tjunin kurz. »Mir liegt noch keine Meldung vor.«
    »Eine Versammlung hielt er ab in Lebedewka, in diesem verruchten Dorf. Nur durch Flucht konnte er sich retten. Der Ansicht ist er, daß alles aus diesem Dorfe kommt: die Sprengungen, der Dolchstoß auf Nasarow … eine Brutstätte der Gewalt muß dieses Lebedewka sein. Doch was sagen deine hochgelobten Spezialisten? Nichts.«
    »Wenn sie nichts sagen, tut sich etwas, mein lieber Kulpakow. Sie sind zur Lautlosigkeit erzogen.«
    »Sehr lautlos sind sie, das muß man ihnen zugestehen. Ein Hinweis, lieber Freund: Einen geheimen Kampfruf hat die Höllenbrut, nach dem sie wie reißende Wölfe werden: Sechstausend Klopse …«
    Tjunin legte sofort auf und schob das Telefon, als klebe es, von sich. Ein Blick zur Uhr. Schon halb elf vormittags.
    »Und schon besoffen!« sagte Tjunin wegwerfend. »Der KGB beginnt, in Wodka aufzuweichen.«
    Er ärgerte sich dennoch über Kulpakows ironischen Ton und beschloß, Krasnikow und Meteljew exakte Befehle zu erteilen: Vermehrte Überwachung von Lebedewka und Verhaftung des Attentäters auf Nasarow. Der Befehl in der letzten Nacht war offensichtlich nicht klar genug gewesen.
    Sechstausend Klopse, dachte Tjunin traurig … Kulpakow wird bald in einer Anstalt enden …
    Unfaßbar war es: Nasarow lebte auch nach vier Tagen noch. Er war aus seiner tiefen Bewußtlosigkeit erwacht, hatte mit einem langen, erstaunten Blick die Infusionsflaschen über sich wahrgenommen und die Schläuche, die in seinen Körper führten, und hatte als erstes gefragt: »Was ist denn mit mir geschehen?«
    Dann hatte er über Durst geklagt, bekam Mineralwasser zu trinken, verzog den Mund, als sei's Essig, und sagte als zweiten Satz: »Zum Teufel, welch ein Gesöff! Wenn's wenigstens Tee wäre …«
    »Geschafft hat er's!« stellte Schemjakin fest, nachdem er Nasarow besucht hatte. »Die Natur

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