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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und nickte wieder. »Und es geht gut. Was willst du hier also noch tun?«
    »Ich bin immer da, nicht bloß alle vier Wochen«, sagte Walja. Die Ablehnung, die ihr entgegenschlug, war wie ein körperlicher Schmerz. »Was ist, wenn einer von euch sich das Bein bricht?«
    »Dann schienen wir es mit Holz. Anders machst du es auch nicht, Genossin Ärztin.«
    »Ein Blinddarm …«
    »Wir legen Eis darauf. Im Sommer hockt man sich in den kalten Fluß, den Bauch gegen die Strömung.«
    »Mein Gott!« Walja schlug die Hände zusammen. »Und ein Gallenstein?«
    »Bei uns gibt's keine Gallensteine. Noch nie hat in Lebedewka jemand über einen Gallenstein geklagt.« Korolew schüttelte den Kopf und breitete die Arme aus. »Hier ist nichts zu tun für dich, Walja Borisowna.«
    »Aber es könnte ja mal etwas geschehen. Bis jemand aus Tjumen kommt, kann es schon zu spät sein. Tag und Nacht könnt ihr mich rufen.«
    »Nein!« sagte Korolew hart. »Nein!«
    »Warum nicht?«
    »Du bist Schemjakins Tochter. Hier wird dich niemand rufen …«
    So war es überall, wo Walja hinkam. Nicht Haß schlug ihr entgegen, sondern fast stumme Ablehnung. Man tat, als gäbe es sie gar nicht. Ein Versuch im Dorf Possetkowo endete kläglich: Durch Zufall hatte Walja erfahren, daß ein Kind eine Nierenentzündung bekommen hatte. Sofort fuhr sie hin mit Antibiotika, einem Nierendurchspülungsgerät und anderen Spezialapparaten. Aber das Kind sah sie nicht. Den Eintritt in das Haus verweigerte man ihr, der Vater drohte mit einem dicken Holzprügel, die Mutter spuckte sie sogar an. Und als sie auch noch sagte – wie dumm von ihr –, daß man die Behandlung erzwingen könne und jede Weigerung ein Totschlag sei, mußte der Milizionär des Dorfes sie abführen, sonst hätte man ihr die Kleider vom Leib gerissen.
    »Sie verachten mich, weil ich deine Tochter bin«, sagte sie, wieder in Nowo Gorodjina, zu ihrem Vater. Und Schemjakin antwortete ruhig:
    »Nur meine Pflicht tue ich. Nichts weiter. In zwanzig oder dreißig Jahren werden sie begreifen, daß dieser Kanal Rußland frei macht vom westlichen Kapitalismus. Vielleicht … In zehn Tagen kommen dreihundert neue Arbeiter hierhin, die Plattenbauelemente für die Fertighäuser werden schon in drei Tagen da sein. Eine große Lastwagenkolonne wird in Tobolsk zusammengestellt. Genug wirst du zu tun haben in Nowo Gorodjina. Und warte ab: Einmal werden sie dich rufen! Einer wird den Anfang machen, und dann kommen sie alle hinterher. Zu jung bist du noch, um die Menschen zu kennen …«
    Jetzt nun fuhren sie mit zwei Geländewagen zum gesprengten Damm und standen dann wortlos vor dem riesigen Loch, das Rudenkos Dynamit hinterlassen hatte. Schemjakin stieg gar nicht erst aus dem Wagen, sondern betrachtete vom Sitz aus die Katastrophe. Er wußte: Dies hier bedeutete die offene Kriegserklärung gegen den Kanalbau. Es würden jetzt andere Zeiten kommen, härtere Zeiten. Vernichtungsschläge aus dem Dunkel des Unbekannten. Gefahr für jeden, der am Bau des Kanals arbeitete. Wie Wolfsrudel würde man die Saboteure jagen und es hinnehmen, daß auch Unschuldige leiden mußten, weil sich unter hundert Unschuldigen vielleicht ein Schuldiger verborgen hielt. Ein Partisanenkrieg im eigenen Vaterland, ein gnadenloses Vernichten.
    »Verrückte sind es«, sagte Walja leise und lehnte sich an die Schulter Schemjakins. Sie spürte, was der Vater dachte, und genau wie ihm schauderte ihr tief im Innern. »Sie wollen den Fortschritt aufhalten. Was sind das bloß für Menschen?«
    »Wir werden sie kennenlernen, Töchterchen. Du hast mit ihnen schon gesprochen.«
    »Die Männer in den Dörfern?«
    »Man wird sehen …«
    Die ersten Hubschrauber trafen aus Sawodorosk ein; ein Zug Rotarmisten, die das Gelände absperrten. Ein junger Leutnant meldete sich bei Schemjakin, stellte sich sehr zackig an, wohl, um Walja zu imponieren, und sagte forsch:
    »Jetzt werden wir aufräumen, Genosse Projektleiter! Eine Funkmeldung aus Tobolsk ist gekommen, sie wird bei Ihnen auf dem Schreibtisch liegen. Eine Kompanie ist unterwegs, diesen verfluchten Schweinestall zu säubern. Auf den Kopf werden wir die Bauern klopfen, bis unten aus ihren Hosen das Geständnis herausfällt.«
    Schemjakin schwieg, zündete den Motor und fuhr schnell zurück nach Nowo Gorodjina. Was der junge Leutnant sagte, war Wahrheit; der Funkspruch aus Tobolsk lag auf dem Schreibtisch, und General Pychtin selbst hatte ihn aufgesetzt. Er sprach von zweihundertsiebzig Rotarmisten,

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