Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
zwinkerte mit den Augen. »Keinen angenehmen Besuch, aber wir müssen ihn einige Tage ertragen.«
    »Gefangene …?« fragte Walja gedehnt.
    »Nicht direkt, Genossin.«
    »Was sonst?«
    »Die moderne Form der Überredung: Geiseln.«
    »Sie können doch nicht Unschuldige wegschleppen ins Gefängnis?!« rief jetzt auch Olga aufgeregt.
    »Genossin Schemjakina! General Pychtin hat mir jede Vollmacht erteilt, um Ruhe und Ordnung in diesem Gebiet zu schaffen. Wer spricht von Unschuldigen? Gibt es sie? Jeder ist schuldig, der etwas weiß und es nicht dem Kommissariat meldet. Man braucht nur blind hineinzugreifen in diesen Menschentopf, und was man herausholt, ist ein Schuldiger. Wir werden's sehen.«
    Er grüßte, musterte Walja noch einmal mit unverschämten Blicken und verließ darauf das Haus. Draußen, in der Nacht, hörte man ihn Kommandos schreien, und viele Stiefel knirschten durch den Kies.
    »Ein widerlicher Mensch!« sagte Schemjakin, ergriff die Tasse, aus der der Major Nasarow getrunken hatte, und warf sie an die Wand, wo sie zu einem Scherbenregen zerbarst. »Spielt sich auf wie ein tatarischer Eroberer.«
    Von draußen ertönten Motorenlärm und das Rasseln von Panzerketten. Walja trat ans Fenster und starrte hinaus. Im Schein der wenigen Bogenlampen, die das Lager erhellten, sah sie, wie ein Schützenpanzer und vier Lastwagen voller Rotarmisten hinüberrollten zur Straße, die nach Lebedewka führte.
    »Wie Wölfe in der Nacht kommen sie und überfallen den Ort«, sagte sie voller Bitterkeit. »Und wir sehen zu und rühren keinen Finger.«
    »Die Saboteure haben den Damm gesprengt, haben die teuflischen Bomben gelegt, die Bohrtrupps überfallen und verprügelt …«
    »Die Leute von Lebedewka?«
    »Wahrscheinlich. Möglich.« Schemjakin hob die Schultern.
    »Wahrscheinlich ist kein Beweis.« Walja trat vom Fenster zurück und lehnte sich neben der Tür an die Wand. »Reden wir nicht immer von Gerechtigkeit?«
    »Warum über etwas streiten, das wir nicht ändern können«, sagte Schemjakin gequält. »Müde bin ich. Seht doch auf die Uhr. Weit über zwei Uhr nachts. Laßt uns schlafen. Morgen wird ein besonderer Tag werden, da sollten wir kräftig sein. Legt euch hin.«
    Olga und Walja gingen in ihre Zimmer, Schemjakin aber blieb auf, setzte sich in einen Flechtsessel, knipste die Lampe aus und dämmerte so Stunde um Stunde dahin, um auf die Rückkehr von Major Nasarow und seiner Truppe zu warten. Daß er dann doch einschlief, tief in den Sessel gerutscht, merkte er nicht. Von dem fertigen Kanal träumte er, einem Prachtstück. Das schönste Bauwerk der Menschheit. Der Stolz eines großen, beispielhaften Rußlands … Und plötzlich hob sich das Wasser, aus der Tiefe des Kanals zischte es wie eine Kette von Vulkanen, die Fluten brachen über das Ufer, rasten durch das Land und vernichteten alles zu beiden Seiten des aufgerissenen Kanals.
    Schemjakin röchelte im Schlaf, sein Gesicht verzerrte sich voller Schrecken, seine Beine zuckten … das war der Augenblick, wo er vor der Flutwelle weglief und nach Olga und Walja schrie.
    Der erste, der die Militärkolonne auf Lebedewka zukommen sah, war Wassja, der Wasserkopf.
    Eine Hasenfalle hatte das Kerlchen gelegt, eine ganz gemeine, hinterlistige Schlinge, in der sich das Tierchen erwürgte. Und weil er wußte, daß Väterchen Schagin, der Pope, ihn schelten oder sogar in den Nacken hauen würde, schlich er sich beim ersten Morgendämmern aus seinem Anbau weg, huschte zum Waldrand und murmelte auf dem Weg dorthin: »Jesus, laß mich ein Häslein finden. Man kann nicht immer leben von den Mehlsuppen, die Kyrill Vadimowitsch ständig ißt. Ein Stückchen Fleisch ist auch gut für die Seele.«
    Manchmal erhörte Jesus dieses inbrünstige Flehen und opferte einen Hasen für Wassjas Schlingen. Aber nur manchmal und selten genug. Hatte der Wasserkopf dann das Tierchen aus dem Fell geschlagen, ging er zu dem Popen und legte ihm den abgezogenen Körper auf den Küchentisch. Und immer wieder fragte Väterchen Schagin streng:
    »Woher, du Kürbis mit Beinen?«
    Und jedesmal antwortete Wassja mit treuen Augen, wie sie kein Hund vorzuweisen hatte:
    »Er lag entseelt unter meinem Fenster. Ein Hitzschlag, Väterchen.« Und war's im Winter, sagte er: »Erfroren ist er. Dieser Frost! Selbst die Vögel fallen von den Bäumen.«
    »Warum immer vor deinem Fenster, he?« wollte Schagin wissen. Aber auch darauf hatte Wassja eine entwaffnende Antwort:
    »Die Tiere wissen, ich liebe sie.

Weitere Kostenlose Bücher