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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nach draußen vors Haus und lehnte sich an das Geländer der kleinen überdachten Terrasse. Über das stille Lager blickte er, über die festen Straßen mit den Bogenlampen, sah hinüber zu der jetzt drohenden, schwarzen Wand des Waldes und die breite Schneise, die zu dem gesprengten Damm führte.
    Welch ein Frieden … welch ein Betrug am Frieden!
    In der Nacht darauf – Jugorow und Walja lagen eng umschlungen im Bett und schliefen – flog mit einer ohrenzerreißenden Detonation das Kesselhaus in die Luft. Zehn große Stangen Dynamit enthalten eine Menge Treibkraft. Der Zeitzünder, wieder eine ganz einfache Weckuhr, hatte präzise gearbeitet. Genau drei Uhr nachts, das Kesselhaus war verlassen. Keine Menschen, nur Material.
    Jugorow saß im Bett und preßte Walja an sich. Aufgeschreckt zitterte sie, als sei sie der Mittelpunkt der Explosion gewesen. Ihre Hände krallten sich an Jugorow fest.
    »Da ist er …«, stammelte sie und drückte ihr Gesicht an Jugorows nackte Brust. »Der ›Spezialist‹ … da ist er … Er bringt uns alle um … alle bringt er uns um … auch dich, auch dich …«
    Und Jugorow sagte, nur ein schwacher Trost war's, aber was soll man hier noch groß reden: »Ein Glück, daß wir die Steinöfen gebaut haben. Im Winter werden wir wenigstens nicht erfrieren. Aber viel Holz müssen wir jetzt schlagen.«
    Dann heulten die Alarmsirenen. Und Jugorow schlüpfte in die Hose, um im flammenden Chaos zu helfen.
    Eine Woche lang, jede Nacht und oft auch am Tage, fuhr Krasnikow mit dem deutschen Kübelwagen stundenlang hin und her: durch den Wald, am Rande der Sümpfe entlang, durch Lebedewka. Er hielt an den ›Zehn Sängern‹ und wartete. Manchmal wanderte er nachts durch den Wald, aber der ›Spezialist‹ reagierte nicht.
    Er ist hier, signalisierte Krasnikows sechster Sinn. Er ist ganz in der Nähe. Er sieht mich, er beobachtet mich, er belauert mich – warum unternimmt er nichts? Warum ist es wieder so still? Was hat er vor? Systematisch zerstört er alles Wichtige; den Damm, dann die Winternahrung, jetzt das Kesselhaus – werden die Transformatoren die nächsten sein? Dann wäre sein Ziel erreicht: Nicht mehr leben und arbeiten können wir hier. Kein Essen, keine Wärme, kein Strom; Nowo Gorodjina muß aufgegeben werden. Auch so kann man siegen, indirekt, ohne offenen Kampf. Bist ein raffinierter Hund, großer Unbekannter!
    Eine Woche lang aber beobachtete auch der junge Beljakow den ruhelos umherstreifenden Krasnikow.
    Großväterchen hatte es doch tatsächlich erreicht – nachdem die Soldaten die Suche eingestellt hatten –, daß sein Enkelchen Andrej Nikolajewitsch zurück ins heimatliche Haus kam und sich dort versteckte. Einerseits, weil die Gefahr nicht mehr groß war, dort entdeckt zu werden, andererseits weil der Alte herumbrüllte, kein Beljakow könne die Luft bei Trofimow einatmen, ohne davon krank zu werden. Vor den Soldaten habe man Andrej gerettet, und nun vergifte man ihn im Schwarzen Haus. Nach drei Tagen war Korolew so entnervt von Großväterchens Geschrei, daß er resignierend sagte:
    »Hol ihn dir ab, du Geier! Pack ihn in Watte. Aber wenn er sich wieder einfangen läßt, dann holt ihn keiner mehr raus. Verstehst du das, Brüllochse?«
    Und Beljakow hatte zurückgeschrien: »Gib mir keine Verhaltensmaßregeln, du Grünschnabel! Mir, einem Veteranen! Ich habe gelernt, wie man einen Feind täuscht!«
    Der ›Grünschnabel‹, immerhin auch schon über sechzig und mit neunzehn Jahren beim Sturm auf Königsberg verwundet, gab darauf keine Antwort, ging wortlos zu einem Schrank, zog eine Schublade auf und holte ein Brett hervor, auf das er seine Orden genagelt hatte. Stumm hielt er es Großväterchen unter die Nase, aber das war nicht nötig, der kannte diese Ordenspracht, und es waren sogar noch zwei mehr als seine. Ihm so etwas zu zeigen, empfand der alte Beljakow als eine arge Beleidigung – vor allem auch deshalb, weil Korolew nie einen Orden trug, nicht mal an den höchsten Feiertagen wie dem der Oktoberrevolution.
    In der Nacht holte man also den jungen Beljakow ab. Sein Vater, Beljakow II, brachte ihn zu Pferde heim, die Mutter fiel ihm weinend um den Hals und küßte und herzte ihn, die kleinen Geschwister tanzten um ihn herum, Großmütterchen im Rollstuhl segnete Andrej ergriffen, als dieser vor ihr niederkniete, und sogar die beiden Hunde winselten vor Freude. Großväterchen war dankbar:
    »Jetzt erst ist er richtig gerettet, meine Lieben! Andrej, mein

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