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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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lag, der eines Weibes glich, deren Leben durch ungewöhnliche Mittel so verlängert worden war, bis es endlich im Alter von zweitausendzweihundert Jahren starb.
    Doch wer kann wissen, was geschehen war? Unverrückbar fest stand nur die Tatsache. Seit jener furchtbaren Stunde habe ich mir oft gesagt, daß es keiner großen Phantasie bedarf, in dem Geschehenen den Finger der Vorsehung zu erkennen. Lebendig eingeschlossen in ihr Grab und von Jahrhundert zu Jahrhundert der Ankunft des geliebten Mannes harrend, hatte Ayesha nur wenig am Laufe der Welt geändert. Doch eine starke, in ihrer Liebe glückliche Ayesha, begabt mit ewiger Jugend, göttlicher Schönheit und grenzenloser Weisheit, hätte die Gesellschaft gänzlich umwandeln, ja vielleicht gar das Geschick der Menschheit wenden können. Da sie sich so aufgelehnt hatte gegen das ewige Gesetz, war sie von ihm trotz ihrer Stärke ins Nichts zurückgeschleudert worden – voll Schmach und schauerlicher Schande!
    Nachdem ich einige Minuten erfüllt von dieser schrecklichen Erkenntnis dagelegen hatte, kehrte in dieser belebenden Atmosphäre meine körperliche Kraft rasch zurück. Mir fielen meine Gefährten ein, und ich erhob mich taumelnd, sie zu wecken. Doch zuvor hob ich Ayeshas Gewand und Schleier auf, mit welchem sie ihre blendende Schönheit vor den Augen der Menschen verborgen hatte und, meinen Kopf abwendend, damit mein Blick sie nicht traf, bedeckte ich damit die gräßlichen Überbleibsel der einst so bezaubernden Frau, diese grauenhaften Reste menschlicher Schönheit und menschlichen Lebens. Ich tat es rasch, damit sie Leo, wenn er zu sich kam, nicht sah.
    Dann trat ich über die im Sande liegende duftende Lockenpracht hinweg und beugte mich zu Job nieder, der auf dem Gesicht lag, und drehte ihn herum. Dabei fiel auf eine Weise, die mich erschaudern ließ, sein Arm zurück, und ich musterte ihn scharf. Ein Blick genügte. Unser treuer alter Diener war tot. Bereits zerrüttet von all dem Geschehenen und Erlebten, waren seine Nerven unter dem letzten fürchterlichen Anblick vollends zusammengebrochen, und er war vor Schreck oder infolge eines durch den Schreck ausgelösten Anfalls gestorben. Ich brauchte nur in sein Gesicht zu blicken, um es zu erkennen.
    Dies war ein neuer Schlag; doch – man mag daran vielleicht ermessen, wie unsagbar Grauenhaftes wir durchgemacht – wir spürten ihn nicht allzusehr. Es erschien uns als ganz natürlich, daß der Arme tot war. Als etwa zehn Minuten später Leo stöhnend und zitternd zu sich kam und ich ihm mitteilte, daß Job tot sei, sagte er nur: »Oh!« Man darf jedoch nicht glauben, daß er dies aus Herzlosigkeit tat, denn er und Job hingen sehr aneinander, und heute noch spricht er oft voll Trauer und Mitgefühl von ihm. Er war lediglich nicht fähig, noch mehr zu ertragen, wie auch eine Harfe, so sehr man sie anschlägt, nur Töne von beschränkter Stärke von sich geben kann.
    Ich bemühte mich also, Leo, der zu meiner unendlichen Erleichterung nicht tot, sondern nur ohnmächtig war, wieder ins Bewußtsein zurückzurufen, was mir, wie ich schon sagte, endlich gelang. Doch als er sich aufrichtete, sah ich wiederum etwas Entsetzliches. Als wir diesen Ort des Grauens betraten, war sein gelocktes Haar von strahlendstem Gold gewesen; jetzt wurde es grau, und als wir später ins Freie traten, war es schneeweiß. Er wirkte um zwanzig Jahre gealtert.
    »Was nun, alter Junge«, sagte er mit dumpfer, lebloser Stimme, als er sich ein wenig erholt hatte und die Erinnerung an das Geschehene mit aller Macht über ihn hereinbrach.
    »Wir müssen versuchen, von hier fortzukommen«, entgegnete ich; »es sei denn, du möchtest gerne dort hinein«, und ich deutete auf die soeben wieder auftauchende Feuersäule.
    »Ich ginge hinein, wenn ich sicher wüßte, daß es mich das Leben kostet«, sagte er, leise lachend. »Nur meine verwünschte Unentschlossenheit ist an allem schuld. Hätte ich nicht gezweifelt, so würde sie es vielleicht nicht getan haben. Doch wer weiß – vielleicht hat das Feuer auf mich die entgegengesetzte Wirkung. Es könnte mich unsterblich machen; und ich, alter Junge, habe nicht die Geduld, ein paar tausend Jahre auf sie zu warten, so wie sie auf mich. Ich möchte lieber sterben, wenn meine Stunde kommt – ich habe das Gefühl, sie ist nicht mehr allzu fern – und mich auf die Suche nach ihr machen. Aber wenn du hineingehen willst, nur zu.«
    Ich schüttelte lediglich den Kopf; meine Begeisterung war geschwunden

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