Sie
Grausamkeit willen grausam bin? Ich liebe es nicht, Leid zu sehen oder es hervorzurufen. Hole sie her – rasch, bevor ich mich anders besinne«, und sie bedeckte hastig ihr Gesicht mit dem dünnen Schleier.
Befriedigt, wenigstens dies erreicht zu haben, eilte ich auf den Gang hinaus und rief Ustane, deren weißes Gewand ich einige Schritte von mir erblickte. Sie kauerte weinend unter einer der irdenen Lampen, die in bestimmten Abständen an der Wand des Ganges angebracht waren. Sogleich erhob sie sich und lief mir entgegen.
»Ist mein Gebieter tot? Oh, sage nur ja nicht, daß er tot ist!« rief sie, indem sie mit ihrem edelgeschnittenen und von Tränen überströmten Antlitz zu mir aufblickte und mich mit einem flehentlichen Blick ansah, der mir tief zu Herzen ging.
»Nein, er lebt«, erwiderte ich. »›Sie‹ hat ihn gerettet. Tritt ein.«
Tief seufzend trat sie ein und fiel nach der Sitte der Amahagger vor der gefürchteten Herrscherin auf Hände und Knie.
»Steh auf«, sprach Ayesha mit eisiger Stimme, »und komme hierher.«
Ustane gehorchte und trat mit gesenktem Kopf vor sie hin.
Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann sagte Ayesha, auf den schlafenden Leo deutend: »Wer ist dieser Mann?«
»Er ist mein Gatte«, erwiderte Ustane leise.
»Wer gab ihn dir zum Gatten?«
»Ich nahm ihn gemäß dem Brauch unseres Landes.«
»Es war unrecht von dir, Weib, diesen Mann zu nehmen, der ein Fremdling ist. Er ist kein Mann deines Volkes, und deshalb gilt der Brauch nicht. Höre mich an: Mag sein, daß du dies aus Unwissenheit getan hast, und so werde ich dich schonen, anderenfalls wärest du des Todes gewesen. Höre weiter. Gehe fort von hier und zurück zu deinem Haushalt, und wage es nicht, mit diesem Mann je wieder zu sprechen oder deinen Blick auf ihn zu richten. Er ist nicht für dich. Höre, was ich dir als drittes zu sagen habe. Sowie du dieses mein Gesetz brichst, mußt du sterben. Hinweg!«
Doch Ustane rührte sich nicht.
»Hinweg mit dir, Weib!«
Da blickte sie auf, und ich sah, daß ihr Gesicht von Leidenschaft verzerrt war.
»Nein, o Herrscherin, ich gehe nicht«, antwortete sie mit erstickter Stimme, »dieser Mann ist mein Gatte, und ich liebe ihn – ich liebe ihn und will ihn nicht verlassen. Mit welchem Recht befiehlst du mir, meinen Gatten zu verlassen?«
Ich sah, wie ein Schauder Ayesha überlief, und auch ich erschauderte, das Schlimmste befürchtend.
»Sei gnädig«, sagte ich auf lateinisch, »sie spricht ja nur, was ihr das Herz eingibt.«
»Ich bin gnädig«, erwiderte sie kalt in derselben Sprache. »Wäre ich nicht gnädig, so würde sie bereits tot sein.« Und dann zu Ustane gewandt: »Weib, ich sage dir, gehe, bevor ich dich auf der Stelle zerschmettere!«
»Ich gehe nicht! Er ist mein!« rief Ustane in höchster Verzweiflung. »Ich nahm ihn und rettete ihm das Leben! Zerschmettere mich denn, wenn es in deiner Macht steht! Ich gebe dir meinen Gatten nicht – niemals – niemals!«
Ayesha machte eine so rasche Bewegung, daß ich ihr kaum folgen konnte, doch es schien mir, als habe sie das arme Mädchen leicht mit der Hand auf den Kopf geschlagen. Ich starrte Ustane an und taumelte dann entsetzt zurück, denn auf ihrem Haar, mitten auf den bronzenen Flechten, sah ich drei Fingerspuren, weiß wie Schnee. Das Mädchen hatte seine Hände an den Kopf gelegt und blickte wie betäubt drein.
»Großer Gott!« rief ich, zutiefst bestürzt über diesen furchtbaren Beweis einer unmenschlichen Macht, doch ›Sie‹ lachte nur leise.
»Denkst du, arme unwissende Närrin«, sagte sie zu dem verwirrten Mädchen, »ich hätte nicht die Macht, dich zu töten? Dort liegt ein Spiegel«, und sie deutete auf Leos runden Rasierspiegel, den Job zusammen mit anderen Dingen auf seinen Koffer gelegt hatte; »gib ihn diesem Weib, mein Holly, damit sie das Zeichen auf ihrem Haar sieht und weiß, ob ich die Macht habe zu töten oder nicht.«
Ich nahm den Spiegel und hielt ihn Ustane vor die Augen. Sie blickte hinein, griff nach ihrem Haar, blickte wieder hinein und sank plötzlich schluchzend zu Boden.
»Nun, willst du jetzt gehen, oder muß ich dich ein zweites Mal zeichnen?« fragte Ayesha spöttisch. »Siehe, ich habe dir mein Siegel aufgeprägt, damit ich dich wiedererkenne, bis dein ganzes Haar so weiß ist. Sollte ich dich noch einmal hier sehen, so sei gewiß, daß deine Knochen bald weißer sein werden als mein Zeichen auf deinem Haar.«
Völlig gebrochen richtete das arme Geschöpf sich
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