Sie
so wäre er ihr zweifellos ins Garn gegangen und hätte sich rasch in sie verliebt. So jedoch war er überaus neugierig, zugleich jedoch gleich mir von tiefer Scheu erfüllt, denn obgleich Ayesha ihm gegenüber keinerlei Andeutung über ihr ungeheures Alter gemacht hatte, erkannte er doch in ihr das Weib, von dem auf der Tonscherbe die Rede war. Durch seine beständigen Fragen, mit denen er mich am dritten Morgen während des Ankleidens förmlich überschüttete, in die Enge getrieben, verwies ich ihn schließlich an Ayesha und sagte ihm wahrheitsgetreu, daß ich nicht wüßte, wo Ustane sei. So begaben wir uns denn, nachdem Leo ein herzhaftes Frühstück eingenommen hatte, zur Königin, welche ihre stummen Bedienten angewiesen hatte, uns jederzeit vorzulassen.
Wie immer saß sie in dem Raum, den wir in Ermangelung einer besseren Bezeichnung ihr Boudoir nannten, und als man die Vorhänge zurückgezogen hatte, erhob sie sich von ihrem Ruhelager und trat uns mit ausgestreckten Händen entgegen, um uns, oder besser Leo zu begrüßen; denn ich wurde, wie man sich denken kann, nun von ihr weitgehend ignoriert. Es war schön anzusehen, wie ihre verschleierte Gestalt auf den in einen grauen Flanellanzug gekleideten stattlichen jungen Engländer zuglitt; denn Leo ist, obgleich halb griechischer Abstammung, abgesehen von seinem Haar der Engländer in Person. Er hat nichts von der zarten Gestalt und dem flotten Gebaren der heutigen Griechen, obgleich er vermutlich seine außerordentliche Schönheit von seiner ausländischen Mutter erbte, deren Porträt er nicht wenig ähnelt. Er ist sehr groß und breitschultrig und dabei doch nicht plump wie viele große Männer, und er trägt seinen Kopf so stolz und selbstbewußt, daß die Amahagger ihn nicht zu Unrecht den ›Löwen‹ nannten.
»Sei gegrüßt, mein junger fremder Herr«, sagte sie mit ihrer sanftesten Stimme. »Es freut mich, dich auf den Beinen zu sehen. Glaube mir, hätte ich dich nicht im letzten Augenblick gerettet, so hättest du nie wieder auf diesen Beinen gestanden. Doch nun ist die Gefahr vorüber, und es soll meine Sorge sein« – und sie legte eine tiefe Bedeutung in diese Worte –, »daß sie nicht wiederkehrt.«
Leo verneigte sich vor ihr und dankte ihr dann in seinem besten Arabisch für die Güte und Freundlichkeit, die sie einem Unbekannten erwiesen hätte.
»Nein«, erwiderte sie leise, »einen Mann wie dich könnte die Welt nur schwer entbehren. Schönheit ist auf ihr allzu selten. Danke mir nicht, dein Kommen hat mich sehr glücklich gemacht.«
»Donner und Doria, alter Junge«, flüsterte Leo mir auf englisch zu, »die Dame ist aber liebenswürdig. Wir scheinen es ja gut getroffen zu haben. Ich hoffe nur, du hast die Gelegenheit gut genützt. Beim Jupiter! Was hat sie doch für herrliche Arme!«
Ich stieß ihn in die Rippen, um ihn zum Schweigen zu bringen, denn ich merkte, wie die Augen Ayeshas, die mich neugierig ansah, hinter dem Schleier aufblitzten.
»Ich hoffe«, fuhr Ayesha fort, »meine Diener haben dich gut versorgt; was dieser armselige Ort an Behaglichkeit bietet, soll dir zur Verfügung stehen. Gibt es noch irgend etwas, das ich für dich tun kann?«
»Ja, o Königin«, erwiderte Leo rasch. »Ich wüßte gern, wo die junge Dame ist, die mich gepflegt hat.«
»Ach«, sagte Ayesha, »dieses Mädchen – ja, ich habe es gesehen. Nein, ich weiß es nicht; es sagte, es wolle fortgehen, wohin, weiß ich nicht. Vielleicht wird es zurückkommen, vielleicht auch nicht. Es ist sehr lästig, einen Kranken zu pflegen, und diese wilden Weiber sind sehr unzuverlässig.«
Leo blickte verärgert und betrübt drein.
»Sehr sonderbar«, sagte er auf englisch zu mir und wandte sich dann wieder an ›Sie‹. »Ich begreife das nicht«, sagte er; »die junge Dame und ich – nun – kurz gesagt, wir mochten uns sehr gern.«
Ayesha ließ ein leises, sehr wohlklingendes Lachen hören und wechselte sodann das Thema.
19
»Bringt mir eine schwarze Ziege!«
Das nun folgende Gespräch ging um so nebensächliche Dinge, daß ich mich seiner nicht mehr recht entsinne. Aus irgendeinem Grund, vielleicht um Leo ihre Identität und ihren Charakter noch nicht zu offenbaren, sprach Ayesha nicht so ungezwungen wie sonst. Plötzlich teilte sie Leo jedoch mit, daß am Abend zu unserer Unterhaltung ein Tanz stattfinden werde. Ich war darüber ziemlich erstaunt, da ich gedacht hatte, die Amahagger seien ein viel zu düsteres Volk für solche
Weitere Kostenlose Bücher