Sie kam, sah und liebte
berührten sie beinahe. »Marie macht eine schwere Zeit durch, und ich weiß nicht, wie ich ihr helfen soll«, sagte er, indem er seine Gedanken absichtlich auf seine Schwester und deren Probleme richtete. »Sie weigert sich, mit einem Therapeuten zu sprechen.«
»Hat sie es schon einmal versucht?«
»Natürlich, aber nach zwei Sitzungen hat sie aufgegeben. Sie ist launisch und unberechenbar. Sie braucht eine Mutter, aber die kann ich ihr nicht bieten. Ich dachte, sie würde sich in einem Internat mit gleichaltrigen Mädchen vielleicht wohler fühlen, aber sie glaubt, ich wollte sie nur loswerden.«
»Und? Stimmt das?«
Er knöpfte seinen Blazer auf, dann ließ er die Handgelenke locker von den Knien baumeln. Über sein Privatleben pflegte er nicht zu reden, jedenfalls nicht außerhalb der Familie, und er fragte sich, was ihn bewog, sich ausgerechnet Jane anzuvertrauen – einer Reporterin. Aber vielleicht, weil er ihr vertraute. »Ich glaube nicht, dass ich versuche, sie loszuwerden. Vielleicht ist es doch so. Wie auch immer, ich bin ein Scheißkerl.«
»Ich verurteile dich doch nicht, Luc.«
Er sah in ihre klaren Augen und glaubte ihr. »Ich will, dass sie glücklich ist, aber sie ist es nicht.«
»Nein, sie ist nicht glücklich und wird vorerst auch nicht glücklich sein. Ich bin überzeugt, dass sie Angst hat.« Sie neigte den Kopf leicht zur Seite, und die Locken fielen aus ihrem Gesicht. »Wo ist Maries Vater?«
»Unser Vater ist vor etwa zehn Jahren gestorben. Zu der Zeit wohnte ich mit meiner Mutter in Edmonton. Maries Mutter und mein Vater lebten in L. A.«
»Dann weißt du ja, wie es ist, einen Elternteil zu verlieren. «
»Eigentlich nicht.« Er nahm eine Hand vom Knie und strich mit den Fingerspitzen über die Bügelfalte in Janes Hosenbein. »Ich habe meinen Vater nur einmal im Jahr gesehen. «
»Ja, aber trotzdem fragst du dich sicher manchmal, wie dein Leben sich entwickelt hätte, wenn er noch lebte.«
»Nein. Mein jeweiliger Hockeytrainer war eher ein Vater für mich als mein leiblicher Vater. Maries Mutter war seine vierte Frau.«
»Hat Marie noch andere Geschwister?«
»Nur mich.« Er hob den Kopf. »Ich bin alles, was sie hat, und ich fürchte, das ist nicht genug.«
Das Deckenlicht verfing sich in ihren Locken, ein trauriges Lächeln umspielte ihre Lippen. Luc wollte es nicht sehen und zog ernsthaft in Erwägung, sie bei den Aufschlägen ihrer Jacke zu packen, ihren Mund zu sich heranzuziehen und sie zu küssen, bis sie nicht mehr traurig war. Doch ein Kuss würde weitere Dinge nach sich ziehen, und solche Dinge sollten nicht in einer Abstellkammer geschehen, vor deren Tür sich seine Mannschaftskameraden versammelt hatten.
»Ich hatte immerhin noch meinen Vater«, sagte sie. »Er hat mich in Jungenkleidung gesteckt, bis ich ungefähr dreizehn war, und er hat nicht den geringsten Sinn für Humor. Doch er liebte mich und war immer für mich da.«
Er hatte sie in Jungenkleidung gesteckt? Das war vielleicht eine Erklärung für ihren Kleidungsstil und ihre Stiefel.
Sie nagte an ihrer Unterlippe. »Nun ja, Maries Mutter ist nicht zu ersetzen. Selbst ich vermisse meine Mutter täglich, und ich wüsste gern, wie mein Leben sich gestaltet hätte, wenn sie länger gelebt hätte. Aber mit der Zeit flaut der Schmerz ab, und man denkt nicht mehr unentwegt daran. Aber du irrst dich, wenn du meinst, du wärst nicht genug für Marie. Wenn du genug sein willst, dann bist du es auch, Luc.«
Wie sie ihn ansah. Als ob das so einfach wäre. Als ob ihr Vertrauen darauf, dass er alles richtig machte, größer wäre als sein eigenes. Als ob er nicht der egoistische Scheißkerl wäre, der er nun mal war. Er schob seine Hand in ihr Hosenbein und stieß auf eine Socke. Er fuhr weiter hinauf bis zu ihrer Wade und fühlte ihre weiche Haut. In der vergangenen Nacht hatte er auf dem Weg zu ihren Schenkeln auch ihre Kniekehlen geküsst. Ihre Beine waren nass gewesen von ihm, und selbst in diesem Augenblick erregte ihn die Erinnerung daran.
»Ich bin sehr oft nicht zu Hause«, sagte er und streichelte mit dem Daumen ihr Schienbein. »Und wenn du Marie fragst, dann sagt sie dir wahrscheinlich, dass ich kein sonderlich guter Bruder bin.«
Jane schob sich das kurze Haar hinters Ohr und sah Luc ein Weilchen an, bevor sie sagte: »Wenn ich dich und Marie zusammen sehe, wünsche ich mir, einen Bruder zu haben.«
Sein Daumen hielt in der Bewegung inne. Über die kurze Entfernung hinweg, die sie trennte, sah er
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