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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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auf einen wie dich …«
    »Bitte schweig. Simeon wie Thomas waren fromme Asketen, die …«
    »Die ihr Leben mit sinnloser Selbstquälerei vergeudet haben. Ich verstehe nicht so viel von der Heiligen Schrift wie du. Aber soviel ich weiß, hat Jesus unter Menschen gelebt, ihre Nöte geteilt, war verzeihend und nicht fanatisch.« Pelagia atmete heftig, hielt kurz inne und fuhr ruhiger fort. »Und jetzt erleichtere dein Gewissen. Erzähle mir, was damals geschah. Ich bitte dich darum!«
    Der Mann schwieg, und sie konnte sehen, wie er die Hände ineinander verknotete.
    »Gut, aber ich brauche etwas Zeit. Lass uns ein Stück gehen, bis zum Ende des Hippodroms. Dort gibt es eine Stelle, von der aus man das Meer sehen kann.«
    Pelagia nickte und sie passierten schweigend die Bogenreihen der Rennbahn zu ihrer Linken, bis sie eine Terrasse erreichten. Schräg unter ihnen lag der Julianshafen, dahinter glitzerte im Mondlicht das Propontismeer. Am Horizont, vor dem gegenüberliegenden Ufer, bildeten die Masten der ankernden feindlichen Flotte einen dunklen Wald.
    »Daud Ibn Hassan, dessen Geliebte ich in Damaskus sein musste, hat mir einmal erzählt, dass sich die Araber anfangs nicht aufs Meer gewagt hätten«, brach Pelagia die Stille und deutete auf die Schiffe. »Wie man sieht haben sie ihre Angst überwunden. Du kannst das auch.«
    »Ja, ich will es versuchen.« Patricius stützte seine Hände auf die Mauer und begann zu erzählen.
    »Ich war das älteste von drei Kindern aus einer bitterarmen Familie. Wir lebten im Westen der Insel Irland, die ihr Hibernia nennt. Meine Mutter war älter als mein Vater, sehr fromm und oft verbittert. Sie war einst eine Schönheit gewesen, später aber durch eine Krankheit im Gesicht entstellt. So bekam sie nur einen armen Torfstecher zum Mann. Der aber war lebenslustig, trank gerne und liebte es, anderen Leuten Streiche zu spielen. Einmal warf er mit mir zusammen den Hühnern eines Bauern, der ihn verspottet hatte, heimlich in Met getauchte Brotstücke hin. Durch ein Astloch im Zaun sahen wir zu, wie das Federvieh über den Hof torkelte, gottsjämmerlich krächzte und zuletzt flügelschlagend im Staub herumzuckte. Dem Hühnerzüchter blieb vor Schreck die Luft weg. Er sah aus wie ein Schwein, das man würgt. Da prustete mein Vater laut los und wir mussten beide rennen …«
    Patricius schwieg, und Pelagia beobachtete, wie ein wehmütiges Lächeln über sein Gesicht zog.
    »Meine Mutter keifte natürlich furchtbar, als wir von dem Streich erzählten, aber ich liebte meinen Vater umso mehr. Zu mir war er immer sehr zärtlich, nannte mich seinen großen Jungen und ließ mich auf seinen Schultern reiten. Bis zu einem Frühjahrstag vor nunmehr sechsunddreißig Jahren, als wir gar nichts mehr zum Essen hatten. Da drückte meine Mutter meinem Vater einen Korb in die Hand, um auf den Klippen Möweneier zu sammeln. Er war vom Vorabend noch leicht angeheitert, zog aber kleinlaut los und nahm mich mit. Irgendwie kam er mir unheimlich vor, anders als gewöhnlich. Als sei eine Wolke vor seinem Gesicht. Aber damals wusste ich noch nicht, was das bedeutet … Ich hatte einen Vogel dabei, den er mir aus Treibholz geschnitzt hatte, mit Möwenfedern als Flügel. Während er die Nester aushob, warf ich meinen Vogel hoch und tat so, als ob er fliegen könne. Dabei kam ich immer näher an den Rand der Klippe.«
    Wieder verstummte der Priester, doch diesmal war sein Gesichtsausdruck wie versteinert.
    »Plötzlich war mein Vogel weg – über die Klippe gefallen. Ich kroch zum Rand und sah ihn etliche Fuß tiefer auf einem Felsvorsprung liegen. Viel zu weit für mich. Da fing ich an, laut zu heulen, denn ich liebte den kleinen Vogel sehr. Auf einmal kniete mein Vater neben mir. Er fragte nicht, was passiert sei, schimpfte nicht, sondern sagte nur: ›Weine nicht, ich hole ihn.‹ Ich hatte große Angst, denn hundert Fuß tiefer donnerte das grüne Meer gegen die Klippen. Nichts als Strudel, Wellen und aufspritzende Gischt. In mir war eine Angst, die mir den Atem abschnürte. Aber mein Vater würde es schaffen. Er konnte alles, wenn er wollte. So sah ich zu, wie er Handbreit um Handbreit den Felsen hinabkletterte. Unterwegs fand er noch ein Möwennest, reichte mir die Eier hinauf und stieg weiter ab. Ich sah seine an die Felsen gekrallten Hände, die losließen, um etwas tiefer neuen Halt zu finden. Manchmal auch seine Füße, wenn er ein Bein abspreizte, um nach einer sicheren Trittstelle zu tasten. Und

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