Sie kamen bis Konstantinopel
auf das herrschaftliche Haus in Konstantinopel.
Konstantinopel, das jetzt zu Lande und zu Wasser vom Feind bestürmt wurde.
Statt der bewaffneten Banden, die anfangs das Gebiet westlich der großen Landmauern geplündert hatten, verheerten jetzt sarazenische Armeetrupps mit blutiger Gründlichkeit das Land. Kein Schaf, kein Rind, keine Rübe und kein Scheffel Weizen sollte mehr in die Hauptstadt gelangen! Der Hauptangriff jedoch erfolgte zur See. Seit die Frühjahrsstürme nachgelassen hatten, verging kein Tag, an dem nicht die Kumbarien des Feindes über das Propontismeer gefahren kamen. Massige Schiffe mit doppelten Ruderreihen, deren grell bemalte Rümpfe sich wie bösartige Insekten heranschoben. Decks voller Soldaten in silberglänzenden Kettenpanzern, aus deren Mitte die Schleudern unaufhörlich Steine, Töpfe voller Skorpione oder brennende Geschosse auf die Stadt regnen ließen. Gepanzerte Bugkastelle, auf denen Dutzende von Bogenschützen nur darauf warteten, die Mauerzinnen mit Pfeilschwärmen zu überschütteten.
Dann gellten auf den Türmen der Stadt die Trompetensignale, ächzten die gespannten Seile der Geschütze, legten die Verteidiger ihre Pfeile ein und ließen sie in Richtung der Sarazenen zischen, während sich die Einwohner in ihren Häusern verkrochen oder in den Kirchen niederknieten, um Gottes Gnade zu erflehen.
Immer wieder versuchten die massigen Kumbarien, die Einfahrt in das Goldene Horn zu erzwingen. Unter dumpfen Trommelschlägen, mit rhythmisch klatschenden Rudern, nahmen sie Fahrt auf, bis sie knirschend gegen die Kette prallten, die den Zugang versperrte. Zwar gelang es der dahinter lauernden kaiserlichen Flotte, sie mit Geschoßhageln zu überschütten und zurückzuschlagen, doch aus dem Hafenbereich heraus wagte sich die kleine Schar der Christenschiffe nicht. So konnten die Sarazenen ungehindert die Seemauern bestürmen. Dutzende von Schiffen schleuderten gleichzeitig ihre tödlichen Geschosse. Die Krankenhäuser der Stadt füllten sich mit Verwundeten; die Ärzte waren von Sonnenaufgang bis zum letzten Tageslicht dabei, Pfeile aus Körpern zu ziehen, Brandwunden zu versorgen oder zerschmetterte Glieder zu amputieren. Die Schmerzensschreie der Verwundeten und das Stöhnen der Sterbenden drangen hinaus auf die Gassen, wo sie sich mit dem Surren der Pfeile, den Warnrufen der Wachen und dem Gepolter einschlagender Steine mischten.
***
Von diesen Schrecken der Belagerung war in den Marmorhallen des großen Palastes, in dem Pelagia jetzt als Hofdame Dienst tat, nur wenig zu spüren. Ihre Pflichten waren gering – sie musste Kaiserin Anastasia morgens den golddurchwirkten Umhang reichen – und mehr als gut entlohnt, so dass sie ein Leben im Müßiggang hätte führen können. Doch sobald sie aus dem Chalke-Tor trat, um die Sänfte zu ihrem Haus zu besteigen, umbrandete sie jene fiebrige Erregung, die jenseits der Strenge des Hofes die Straßen erfüllte. Dann fragte sie sich, wann Kallinikos endlich fertig sein würde. Ihm war ein altes, von hohen Mauern umgebenes Lagerhaus am südwestlichen Ufer des Goldenen Horns zur Verfügung gestellt worden. Was immer er auch zum Bau seiner Wunderwaffen benötigen würde – er sollte es bekommen. Nur möge er sich um Himmels willen beeilen, hatte Kaiser Konstantinos ihn gen Schluss der Audienz ermahnt, bevor die Übermacht der gottlosen Sarazenen die Hauptstadt des Reiches in Trümmer legen würde. Kallinikos hatte sich tief verbeugt und gleich in die Arbeit gestürzt, wobei er zuerst große Mengen der benötigten Zutaten anforderte. Nafta und Sal Petrae gehörten dazu, die erst aus entfernten Provinzen herbeigeschafft werden mussten, ebenso gelöschter Kalk. Soviel hatte Pelagia noch mitbekommen, bevor sich der Baumeister in seinen geheimnisumwitterten Bezirk verkrochen hatte, um nur ja keine Stunde zu verlieren. Bald drangen donnerartige Geräusche, heller Schein und stinkender Rauch aus dem von Elitesoldaten bewachten Mauergeviert. Jeder, den Geschäfte in die Gegend führten, beschleunigte seine Schritte, bekreuzigte sich und murmelte etwas von bösen Geistern, die dort ihr Unwesen trieben.
Mit jedem auf die Mauer krachenden Steinbrocken, mit jedem einstürzenden Häuserdach, mit jedem blutenden Verwundeten, mit jedem weinenden Kind, das die Hand seines toten Vaters umklammerte – kurz, mit jedem weiteren Schrecken des Krieges wuchs Pelagias Unruhe. Zuletzt konnte sie die bleichen, unbewegten Gesichter der Hofdamen, ihre ganze
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