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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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einem der Portale, die in den von Fackeln erleuchteten Vorhof führten. Müde lehnte sie ihre Wange an die Wand und genoss die Kühle des Marmors. Die Steinmetze hatten die großen Platten in der Mitte aufgeschnitten, so dass die welligen Muster des Marmors gleichsam gespiegelt erschienen. Darüber verschwamm die Decke mit ihren Mosaiksternen im Dämmerschein.
    Gedankenverloren musterte Pelagia die Gläubigen, die aus der Kirche traten. Ein gut aussehender, bärtiger Mann, der ebenfalls in der Vorhalle wartete, sah so oft zu ihr herüber, dass sie errötete und den Blick senkte. Als sie wieder aufsah, kam eine junge Frau den Weg von der Frauengalerie herab. Mit strahlendem Gesichtsausdruck, Hand in Hand, verließen beide die Vorhalle. Der Anblick des glücklichen Paares versetzte Pelagia einen Stich. Mit zweiunddreißig war ihre eigene Jugend vorbei. Was war aus ihren Träumen geworden, wohin ihr Leben entschwunden? In eitlem Ehrgeiz vergeudet, vom Schicksal zertreten, im Alltag zerronnen. Ihre Kinder tot, ihre Eltern wohl gleichfalls, ebenso wie Urso, dieser treue Freund. Und Patricius? Wo er nur blieb? Sie merkte, wie sich Gereiztheit in ihre Trauer und Müdigkeit mischte.
    Endlich kam der Priester. »Lass uns woanders hingehen«, sagte er, »hier sind zu viele Menschen.«
    »Hast du vielleicht Angst, der Patriarch könnte uns zusammen sehen?«, entfuhr es Pelagia.
    »Nein, aber ich nehme an, dass du mit mir alleine reden willst«, antwortete er, ohne auf die Schärfe ihres Tons einzugehen. »Lass uns zum Milion gehen.«
    Im Mondschein durchquerten sie schweigend den Vorplatz, bogen ab und traten bald unter den Viererbogen, der sich über dem vergoldeten Meilenstein wölbte. Hier war das Zentrum des Reiches, von dem aus alle Entfernungen gemessen wurden.
    »Was hast du, warum wolltest du mich sprechen?«
    Pelagia, auf diese direkte Frage nicht vorbereitet, schluckte. »Wie geht es dir?«, fragte sie zuletzt. »Wirst du jetzt Bischof?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Patricius. »Die Entscheidung liegt bei Johannes, dem Patriarchen.«
    Beide schwiegen, während die Zikaden zirpten.
    »Ich … ich denke über das Leben nach«, sagte sie, »über all das, was wir daraus hätten machen können. Wenn wir es uns nicht selbst verwehrt hätten. Ich ebenso wie du. Jeder auf seine Weise.«
    Als Patricius sie nur schweigend ansah, fuhr sie fort.
    »Du hast einmal gesagt, ein Priester könne eine Frau haben, nur ein Bischof nicht.«
    »Ja, warum?«
    »Und wenn ein verheirateter Priester Bischof wird, was geschieht dann mit seiner Frau?«
    »So etwas kommt selten vor«, entgegnete er, »weil Verheiratete kaum je zu dieser Würde berufen werden.«
    »Und wenn aber doch?«
    »Dann muss die Frau in ein Kloster eintreten.«
    Pelagia verschlug es die Sprache. »Was? Dann gilt das heilige Sakrament der Ehe plötzlich nicht mehr?!« Sie lachte. »Was Jesus wohl zu solchen Regeln gesagt hätte?«
    »Ich glaube kaum, dass gerade du befugt bist, theologische Fragen zu erörtern«, gab er scharf zurück. »Warum interessiert dich das überhaupt?«
    »Hast du deshalb nie eine Frau gefunden«, bohrte sie weiter, »weil du heimlich immer Bischof werden wolltest?«
    »Nein, gewiss nicht«, Patricius schüttelte unwillig den Kopf, »sondern weil ich für meine Schuld büßen muss.«
    »Indem du dich vor der Welt verschließt?« Pelagia versuchte, im Licht des Vollmondes sein Gesicht zu erkennen. »Da du mit sechs ins Kloster kamst, muss das vorher gewesen sein, oder?«
    »Ja, nur will ich …«
    »Hat das was mit dem Tod deines Vaters zu tun?«, unterbrach sie ihn, »den du vorausgeahnt hast?«
    »So ist es. Bitte frage nicht weiter, ich habe seitdem mit niemandem darüber gesprochen.«
    »Aber das war falsch!«, entgegnete sie und legte ihre Hand auf seinen Arm. »Wer hat dir denn eingeredet, dass du dafür dein ganzes Leben lang büßen musst?« Patricius zögerte, dann gab er sich einen Ruck. »Meine Mutter. Und später die Mönche im Kloster. Aber bitte dring nicht weiter in mich, ich möchte nicht …«
    »Doch, du möchtest!« Sie schrie es fast. »Deswegen hast du auf die Welt verzichtet. Dieses Geheimnis vergiftet noch heute dein Leben. Und du musst darüber sprechen, sonst wird es immer drückender – ganz gleich, wie viele Bußübungen du machst. Oder willst du so enden wie dieser widerliche Simeon? Warum kletterst du dann nicht auf die Säule des heiligen Thomas, draußen vor der großen Mauer? Die ist verwaist und wartet

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