Sie kamen bis Konstantinopel
Sarazenen aufgebrochen, um unaufhaltsam in den Körper des Reiches vorzustoßen, ihm Provinz um Provinz zu entreißen, bis die grüne Fahne ihres Propheten vor der Hauptstadt flatterte.
Jetzt einte die Menschen auf der Mauer ängstliche Erwartung – Hofbeamte in ihren reich bestickten Roben standen Seite an Seite mit Soldaten, deren Brustpanzer in der Morgensonne glänzten, mit Kaufleuten, deren Finger ihre Geldbörsen umklammerten, und mit Bogenschützen, die ihre Hand vor die Stirne hielten, um nicht von der Morgensonne geblendet zu werden. Alle hatten nur Augen für die Feinde, kaum jemand achtete auf die Frau, die an eine Zinne gelehnt verharrte, obgleich sie sonst die Blicke auf sich gezogen hätte. Sie war groß, hatte scharf hervortretende Wangenknochen, dunkle Brauen und helles Haar, das sie sorgfältig aufgesteckt trug. Ihr langes Kleid umfloss den schlanken Körper, am Hals schimmerte eine blaue Glasperlenkette mit zylinderförmigem Anhänger.
Pelagia, so hieß die Frau, achtete ihrerseits nicht auf die Männer neben ihr. Sie blickte hinunter auf den Kai, als suche sie jemanden inmitten der Matrosen und Soldaten, die wie aufgescheuchte Ameisen durcheinanderliefen. Einen Augenblick kehrten ihre Gedanken zurück zu dem ersten Mal, als sie ihren Fuß auf die Planken eines Schiffes gesetzt hatte. Aus dem Nebel der Erinnerung formte sich das Bild jener ersten Schiffsreise von Karthago nach Rom, dieser Fahrt, mit der alles begonnen hatte. Ein Anfang voller Erwartungen, gefolgt von Enttäuschungen, von Schrecken, von Leid … Würde Gott ihre Bitte erhören, ihr das ersehnte Glück schenken, bevor es endgültig zu spät war?
Sie erstarrte, als ihre Augen den großen, dunkel gekleideten Mann gewahrten, der sich mit langsamen Schritten dem Kai näherte. Er hielt inne, um zu beten – zu einem anderen Gott als die Männer auf den Schiffen. Oder doch vielleicht zum gleichen, dachte Pelagia, während sie beobachtete, was am Julianshafen vor sich ging.
***
Der neue Tag versprach strahlend zu werden, aber der Betende bemerkte es nicht. Sein Kopf mit dem rotblonden Haarkranz war gebeugt, seine Hände gefaltet. Stumm stand er am Ufer, regungslos inmitten der Matrosen, die zu ihren Schiffen liefen. Doch niemand beachtete den schweigsamen Kirchenmann, denn diesen Morgen hatte jeder mit einem Gebet begonnen. Jeder, selbst der roheste Soldat, der sonst mit Flüchen und Hurerei sein Seelenheil verwirkte.
»Oh Gott, der du uns deinen Sohn als Erlöser geschickt hast, nimm diese Heimsuchung von uns!«, murmelte er, doch schon schweiften seine Gedanken ab. Er hatte keine Macht über sie; wie Holz auf dem Wasser trieben sie weg, hin zu der Frau, mit der er vor drei Tagen gesprochen hatte. Wie eine Hofdame trug sie das aufgesteckte Haar mit Edelsteinbändern durchflochten. Doch ihre warmen Augen unterschieden sie von den Fischblicken der anderen Frauen des Kaiserhofes. Nach dem Gottesdienst in der Hagia Sophia, der größten Kirche der Stadt, waren sie sich in der Vorhalle begegnet. Unter glänzenden Mosaiken, auf denen das Licht unzähliger Lampen tanzte, beim Goldenen Meilenstein und dann auf der Terrasse am Meer hatten sie miteinander gesprochen. Dort hatte sie ihm sein Geheimnis entrissen. Seitdem war nichts mehr wie zuvor. Seitdem hatte er sich jede Nacht gequält, weil er nicht wusste, was er tun sollte.
Müde hob Patricius den Kopf und sah die wogenden Masten. Vorne, im Julianshafen, ankerte die Christenflotte, alle Schiffe, die das Römerreich noch aufbieten konnte. Langsam glitten seine Augen weiter, zu dem sich nähernden Mastenwald der Feinde, in deren Mitte die Wimpel des Admiralsschiffes flatterten. Doch die Menschen darauf konnte er nicht erkennen. Diese Anhänger des falschen Propheten Mohammed, die der Herr zur Strafe über seine sündige Herde kommen ließ.
Schritte rissen den Priester aus seiner Versenkung. Eben trottete wieder ein Trupp Träger vorbei, große Kessel und bauchige Rohre geschultert. Seit gestern beluden sie die Galeeren mit dieser geheimnisvollen Last, auf die er sich keinen Reim machen konnte. Da sah er den Syrer kommen, der das Kommando zu haben schien.
»Seid gegrüßt, Kallinikos.« Der kleine, kahlköpfige Mann mit den listigen Augen erwiderte den Gruß, kam herüber, befeuchtete einen Finger und hielt ihn empor.
»Ablandiger Wind«, nickte er zufrieden, dann musterte er die Sarazenenflotte, »sehr schön.«
»Was ist an diesem Anblick schön?«, fragte Patricius verwundert.
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