Sie kamen nach Bagdad
Aber Sie …« Er blickte sie an: »Wieso wissen Sie davon?«
»Ich wurde durch Zufall in die Sache verwickelt.«
Er warf ihr einen langen, forschenden Blick zu.
Victoria fragte plötzlich: »Ihr Spitzname in der Schule war nicht zufällig Luzifer, oder?«
Er blickte verwundert drein. »Luzifer? Nein. Man nannte mich Eule, weil ich eine Brille tragen musste.«
»Sie kennen niemanden in Basra namens Luzifer?«
Richard schüttelte den Kopf.
»Luzifer, Sohn des Morgens – der gefallene Engel.« Er fügte hinzu: »Oder ein altmodisches Zündholz.«
Er beobachtete sie genau, während er sprach, aber Victoria runzelte geistesabwesend die Stirn.
»Ich wollte«, sagte sie plötzlich, »Sie würden mir genau sagen, was sich in Basra zutrug. Wo waren Sie, als all das geschah?«
»Im Wartezimmer des britischen Konsulates.«
»Und wer war sonst noch dort? Dieser Handlungsreisende und Carmichael? Sonst noch irgendjemand?«
»Es waren noch einige andere Leute da. Ein magerer, dunkler Syrer und ein alter Mann – ein Perser würde ich sagen.«
»Und der Handlungsreisende zog den Revolver. Sie fielen ihm in den Arm und Carmichael entkam. Was geschah mit dem Handlungsreisenden?«
Richard zuckte die Achseln.
»Soviel ich weiß, erzählte er irgendein verlogenes Zeug, dass er von einem Araber übers Ohr gehauen worden sei und gemeint habe, in dem Araber auf dem Konsulat den Mann wieder zu erkennen. Ich habe nicht mehr viel über die Geschichte gehört, weil ich nach Kuwait weitergeflogen bin. Warum wollen Sie das alles wissen?«
»Es interessiert mich einfach.«
»Haben Sie noch weitere Fragen?«
»Kennen Sie jemanden namens Lefarge?«
»Nein, ich kenne niemanden dieses Namens. Mann oder Frau?«
»Ich weiß es nicht.«
Sie dachte wieder über Carmichaels Botschaft nach. Luzifer – Lefarge – was sollte das bedeuten?
An diesem Abend, nachdem Victoria den beiden Männern gute Nacht gewünscht hatte und zu Bett gegangen war, sagte Richard zu Dr. Pauncefoot Jones: »Dürfte ich Emmersons Brief lesen? Ich möchte genau sehen, was er über dieses Mädchen schreibt.«
»Natürlich, mein lieber Junge. Er liegt irgendwo hier herum. Suchen Sie, wo Sie wollen.«
20
A m folgenden Nachmittag entfuhr Dr. Pauncefoot Jones ein ärgerlicher Ausruf, als er von fern das leise Geräusch eines Autos hörte. Kurz darauf sah er, wie es sich durch die Wüste auf den Tel zubewegte.
»Besucher«, sagte er giftig. »Gewiss ein paar Idioten, die mit einer Menge Gesellschaftstratsch aus Bagdad herauskommen und wollen, dass man ihnen die ganzen Ausgrabungen zeigt.«
»Das ist etwas für Victoria«, meinte Richard. »Hören Sie, Victoria, Sie müssen den Fremdenführer spielen. Wir schieben Ihnen alle Gelegenheitsarbeiten zu. Sie sind unser Mädchen für alles.«
Victoria lächelte. Ihre Betätigungen der letzten Tage überraschten sie in der Tat nicht wenig. Die Körbe voller Scherben hatten zuerst ihre Belustigung erregt (obwohl sie sich gehütet hatte, sich etwas anmerken zu lassen). Was sollten all diese zerbrochenen Stücke von rohem Material? Aber dann, als sie zusammenpassende Stücke fand, sie zusammenklebte und in Sandkisten aufstellte, begann sie der Sache Interesse abzugewinnen und im Geist zu rekonstruieren, wie diese Gefäße vor mehr als 3000 Jahren ausgesehen und welchem Zweck sie gedient haben mochten. Da Victoria eine lebhafte Fantasie hatte, stieg schnell ein Bild vor ihrem geistigen Auge auf. Eines Tages, als in einer Mauer eingebettet ein kleiner Tontopf mit einem halben Dutzend Ohrringen darinnen aufgefunden wurde, war sie begeistert.
»Vermutlich die Mitgift einer Tochter«, hatte Richard Baker lächelnd gesagt.
Sie dachte an diese Dinge, als sie die Besucher den Hang des Tel erklimmen sah. Richard ging ihnen entgegen, um sie zu begrüßen, und Victoria folgte ihm. Es waren zwei Franzosen, die sich für Archäologie interessierten und eine Reise durch Syrien und den Irak machten. Nach höflichen Begrüßungen führte Victoria sie durch die Ausgrabungen und plapperte nach, was sie gehört hatte, aber da sie eben Victoria war, konnte sie nicht widerstehen, zahlreiche Ausschmückungen hinzuzufügen, nur um, wie sie sich selbst sagte, die Sache plastischer zu gestalten.
Sie bemerkte, dass der zweite Mann eine sehr ungesunde Gesichtsfarbe hatte und sich nur mühsam und interesselos weiterschleppte. Plötzlich bat er, Mademoiselle möge ihn entschuldigen, er möchte sich ins Haus zurückziehen. Er fühle sich
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