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Sie kamen nach Bagdad

Sie kamen nach Bagdad

Titel: Sie kamen nach Bagdad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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voraussichtlich nicht vor einer Woche ankommen. Schön – also bis dahin oder bis der Lastwagen nach Bagdad fuhr, würde Victoria Venetia Dingsda sein und, so gut sie konnte, ihre Rolle spielen.
    Aber sie fand ihre Rolle nicht leicht. Anspielungen auf Personen, Veröffentlichungen, Baustile, Kategorien von Töpfereien mussten vorsichtig behandelt werden. Zum Glück wird eine gute Zuhörerin immer geschätzt. Victoria war eine glänzende Zuhörerin und sich behutsam vortastend, begann sie den Jargon ziemlich rasch zu lernen. Es war eine gute Bibliothek archäologischer Publikationen im Expeditionshaus und Victoria, die jede Minute des Alleinseins nutzte, um mit Feuereifer zu lesen, eignete sich die notwendige Halbbildung an.
    Zu ihrer Überraschung fand sie das Leben herrlich. Frühmorgens brachte man ihr den Tee, dann ging sie hinaus zur Ausgrabungsstelle. Dort half sie Richard bei seinen fotografischen Arbeiten, fügte Tonscherben zusammen und stellte sie auf. Sie beobachtete die Männer bei der Arbeit, wobei sie das Geschick und die Behutsamkeit der Leute mit der Spitzhacke bewunderte. Sie freute sich am Gesang und Gelächter der kleinen jungen, die herbeigelaufen kamen, um ihre Körbe voll Erde auf dem Abladeplatz zu entleeren. Sie beherrschte bald die Bauperioden, erfasste die verschiedenen Niveaus, auf denen die Ausgrabungen durchgeführt wurden, und machte sich mit den Arbeiten des Vorjahres vertraut. Die Mauern eines Palastes wurden langsam ausgegraben. Victoria war fasziniert und hatte keine Gelegenheit, irgendwelche besondere Eignungen oder Talente zu zeigen.
    Richard Baker blickte sie noch zuweilen spöttisch an und sie fühlte seine unausgesprochene Kritik, aber er war freundlich und höflich, und ihre ehrliche Begeisterung amüsierte ihn.
    »Direkt aus England kommend, ist für Sie alles neu«, sagte er eines Tages. »Ich erinnere mich, wie begeistert ich während meiner ersten Saison war.«
    »Wie lange ist das her?«
    Er lächelte: »Ziemlich lange – fünfzehn oder sechzehn Jahre.«
    »Sie müssen das Land sehr gut kennen?«
    »Oh, ich war nicht nur hier. Ich war auch in Syrien und in Persien.«
    »Sie sprechen sehr gut Arabisch? Könnte man Sie für einen Araber halten, wenn Sie als solcher verkleidet wären?«
    Er schüttelte den Kopf: »O nein. Das ist schwierig. Ich bezweifle, dass irgendein Engländer je für einen Araber gehalten wurde – ich meine über eine längere Zeit hinweg.«
    »Lawrence?«
    »Nein, ich glaube nicht, dass Lawrence je als Araber durchging. Der einzige Mann, den ich kenne, der wirklich nicht von einem Einheimischen zu unterscheiden ist, ist ein Bursche, der in dieser Gegend geboren wurde. Sein Vater war Konsul in Kaschgar und anderen entlegenen Orten. Er sprach schon als Kind allerlei ausgefallene Dialekte und hat sich später, glaube ich, darin weitergebildet.«
    »Was ist aus ihm geworden?«
    »Ich habe ihn nach der Schulzeit aus den Augen verloren. Wir waren zusammen in der Schule. Wir nannten ihn Fakir, weil er völlig regungslos dasitzen und in eine Art Trance fallen konnte. Sonderbarerweise bin ich ihm neulich wieder in die Arme gelaufen – und zwar in Basra. Das war überhaupt eine merkwürdige Geschichte.«
    »Merkwürdig?«
    »Ja, ich erkannte ihn nicht. Er war als Araber verkleidet. Turban und gestreiftes Gewand und einen alten Waffenrock darüber. Er hatte eine von diesen Bernsteinketten bei sich und ließ sie in der traditionellen Weise klappernd durch seine Finger gleiten – nur klapperte er Morsezeichen, denken Sie. Er klapperte eine Botschaft an mich!«
    »Was für eine Botschaft?«
    »Meinen Namen, vielmehr meinen Spitznamen und seinen Namen und dann einen Hilferuf, es drohe ihm Gefahr.«
    »Gefahr?«
    »Ja, als er aufstand und zur Tür ging, riss ein ruhiger, unauffälliger Mann, der wie ein Handlungsreisender aussah, einen Revolver heraus. Ich schlug seinen Arm hinauf, und Carmichael entkam.«
    »Carmichael?«
    Richard wandte bei ihrem Ton jäh den Kopf: »Das war sein richtiger Name. Kennen Sie ihn denn?«
    Victoria dachte im Stillen: Wie sonderbar klänge es, würde ich jetzt sagen: »Er starb in meinem Bett.« Stattdessen sagte sie nur langsam: »Ja, ich kannte ihn.«
    » Kannte ihn? Warum, ist er …«
    Victoria nickte. »Ja, er ist tot.«
    »Wann ist er gestorben?«
    »Kürzlich, in Bagdad, im Hotel Tio.« Sie fügte schnell hinzu: »Es wurde vertuscht, niemand weiß es.«
    Er nickte langsam mit dem Kopf: »Ich verstehe, es war so eine Geschichte.

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