'Sie können aber gut Deutsch'
mache mich in einer Viertelstunde auf den Weg dorthin«, so, wie ich immer wieder auf diese Art von Fragen geantwortet hatte, bei Interviews, bei Lesungen, bei Podiumsdiskussionen; keine Lust mehr zu wissen, wie die nächste Frage lauten würde, keine Lust auf einen erneuten Artikel über die russischstämmige Autorin, die sich tatsächlich so gut integriert hat, dass sie Bücher auf Deutsch schreibt, einfach keine Lust mehr, weshalb ich sie fragte: »Haben Sie keine einzige originelle Frage an mich als Autorin?« Und als sie mich verdutzt anstarrte und nicht weiterwusste und somit keine Fragen mehr zu haben schien, die über das übliche »Ich befrage mal eine Integrierte«-Interview hinausreichten, da stand ich einfach auf und ging, um nachhause, nach München zu fahren, und das tat wirklich gut.
Weshalb ich das erzähle? Weil ich kurz vorwarnen möchte. All diese Fragen wird dieses Buch nämlich nicht beantworten, nicht diskutieren.
Nicht die Frage nach unserer Zugehörigkeit und Heimat in Prozentzahlen.
Nicht die Frage: »Warum tragen nicht alle Musliminnen ein Kopftuch?«
Auch nicht die: »Warum sprechen nicht alle Muslime türkisch?«
Und ebenfalls nicht die: »Bleibt ihr für immer? Wann geht ihr wieder nachhause?«
Und schon gar nicht die: »Sie können aber gut Deutsch. Wie kommt das denn?«, als sei das ein absoluter Ausnahmefall.
Auch mögliche Integrationsansätze, neue Migrationstheorien oder ähnlich lebensferne Faseleien kommen in diesem Buch nicht vor. Man könnte sagen, es ist gewissermaßen ein Buch nicht über Integration.
Es ist ein Buch über Menschen. Über all die Menschen, die in diesem Land leben, es in irgendeiner Weise beeinflussen, bereichern, verwirren, es letztendlich zu dem machen, was es ist.
Denn, nachdem wir mehrere Jahrzehnte zu spät entdeckt haben, dass wir doch schon ziemlich lange ein Einwanderungsland sind und die Debatte (denn wir Deutschen lieben Debatten!) darüber, was das bedeutet, irgendwie verpasst haben und nun schwer damit beschäftigt sind, »in unserer Mitte angekommene türkischstämmige Mitbürger« in Polit-Talkshows und zu Integrationsbündnissen einzuladen, damit sie uns endlich einmal sagen, wie sie und ihresgleichen sich in unsere nicht definierte und wahrscheinlich auch nicht definierbare deutsche Gesellschaft integrieren können, haben wir vergessen, dass wir dabei vor allem über Menschen sprechen.
»Über« im Sinne von »von«, aber auch im Sinne von »über sie hinweg«. Es sind nämlich nicht Probleme hier angekommen, sondern Menschen. Sie sind nicht hierhergekommen, um uns etwas wegzunehmen, nicht, um unser Land zu übernehmen. Sie sind hierhergekommen, weil sie – aus sehr unterschiedlichen, sehr vielfältigen Gründen – sich dazu entschlossen haben, hier zu leben. Bestimmt haben sie auch Probleme mitgebracht – das will ich nicht leugnen –, denn blauäugig bin ich, in der russischen Infrastruktur Deutschlands aufgewachsen, wahrlich nicht. Genauso haben sie aber ihre Geschichten, Vergangenheiten, Vorlieben, Einstellungen, Gedanken, Interessen, auch Ideen mitgebracht. Sie danach zu fragen, ihnen zuzuhören, das haben wir zwischen all den Podiumsdiskussionen, Gesetzesentwürfen und Integrationstrainings vergessen. Dabei lässt sich viel einfacher zusammenleben, zusammen gestalten, ja vielleicht sogar mal zusammen lachen, wenn man mit Menschen zusammenlebt – und nicht mit »Ausländern«, »Migranten«, »Zuwanderern«, »Menschen mit Migrationshintergrund«, »fremdländischen Mitbürgern«, »Bürgern mit anderer ethnischer Herkunft« oder »eingebürgerten Zugewanderten«. So häufig haben wir nach politisch korrekten Begriffen füreinander gesucht, dass wir ganz vergessen haben, miteinander zu reden.
Ich sage »Wir«, wenn ich über diejenigen spreche, die nicht mehr gefragt werden wollen, wann sie nachhause gehen. Ich sage »Wir«, wenn ich diejenigen beschreibe, die diese Fragen stellen. Auch dann spreche ich von »Wir«, wenn ich mich über Menschen aufrege, die seit Jahrzehnten hier leben und kein Wort Deutsch sprechen. Oder mich über diejenigen freue, die sich beklagen werden, dieses Buch sei total unnötig, denn natürlich sind wir längst ein »Wir«.
Tatsache ist, wir sind zu spät dran. Zu spät dran mit
unseren Diskussionen, unseren Debatten, unseren Gestaltungsideen. Das, worüber wir reden, wenn wir überlegen, wie man es in Zukunft gestalten könnte, ist nämlich längst Realität und beinahe schon langweiliger
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