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"Sie koennen aber gut Deutsch!"

"Sie koennen aber gut Deutsch!"

Titel: "Sie koennen aber gut Deutsch!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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gibt als Hauptschüler, weil es – wenn es gut läuft – kein dankbareres, interessierteres und interessanteres Publikum gibt. Weil das Publikum aber so ist, wie es ist (also so ist, wie es tatsächlich ist, und nicht, wie es in den Medien beschrieben wird), kann man sich als Autor nicht einfach vorne hinsetzen (wenn es ganz schlimm kommt, an ein Lehrerpult direkt vor einer Tafel, auf der die Schüler eine halbe Stunde zuvor verzweifelt schwitzend versucht haben, eine Mathematikaufgabe zu lösen) und vorlesen und erwarten, dass das Publikum höflich, selbst wenn gelangweilt und/oder uninteressiert, zuhört und im Nachhinein vermeintlich kluge Fragen dazu stellt. Nein, man muss das Publikum erst einmal dazu bringen, überhaupt ein Fünkchen Interesse zu zeigen, zumindest für die erste halbe Seite, muss es für sich gewinnen. Jedenfalls frage ich, bevor ich lese, nachdem ich ein wenig über mich erzählt und ein bisschen zu theatralisch darüber geklagt habe, dass man für die Schule so früh aufstehen müsse (sich mit den Schülern verbrüdern!), in die Runde, was die ersten Begriffe (denn dass man das Wort »Assoziationen« kennt, kann ich hier nicht voraussetzen) sind, die ihnen zum Thema Russland einfallen. Das funktioniert immer, weil die Schüler dann lachen müssen, denn in ihren Köpfen taucht vor allem ein Begriff auf, und Arme in die Höhe schnellen, Arme, die zum Körper eines Teenagers gehören, zu denen auch ein Mund gehört, der unbedingt als Erster »Wodka« rufen möchte, damit die anderen noch mehr lachen, lauter innovative Klassenclowns sitzen da. Meist folgen dem Wodka Kälte und »Babuschkas, oder wie diese Puppen da heißen« (sie heißen Matrjoschkas, aber will ich die Schüler gleich besserwisserisch lehrerhaft verbessern?), vielleicht noch Stalin und Putin und
Gorbatschow, dann ein paar Fußballer-Namen, die ich nicht kenne, und meist noch Moskau und Sibirien. Einmal aber meldete sich ein Junge, sein Arm war als Erster oben, noch vor den anderen »Wodka«-ausrufen-Wollenden, und ich nahm ihn dran, und er sagte: »Fisch.« Und ich wunderte mich, und alle wunderten sich, wieso denn Russland und Fisch? Und er erzählte, er hieß Holger, ich erwähne den Namen, weil ich meine, dass er von Bedeutung ist, Holger erzählte, dass in seinem Haus viele Russen lebten, die alle Fisch äßen, viel Fisch, und die Reste, die Gräten, die Köpfe und die Schuppen, die schmissen sie alle in den Müll (wohin denn sonst?), und der würde immer so wahnsinnig stinken, das sage seine Mutter auch. Das erinnerte mich dann an ein sehr plattes Jugendbuch, das ich in meiner Schulzeit schätzungsweise in der siebten Klasse habe lesen müssen, ich erinnere mich nicht mehr an den Titel, aber an den Inhalt: Erzählt wird aus der Sicht eines Jungen, eines Siebtklässlers wahrscheinlich, wie eine türkische Familie in sein Haus zieht, die immer nach Knoblauch stinkt, und sein Großvater (alter Nazi?) sie unerträglich findet, die Knoblauch-Fresser, und am Schluss freundet sich der Enkelsohn dennoch mit der türkischen Familie an und stellt fest, dass Türken ganz nett sein können und Knoblauch gar nicht so schlimm riecht.
    Ach ja, und das ist die letzte Abschweifung vom Thema, versprochen, wussten Sie eigentlich, dass Knoblauch in den meisten Sprachen nicht stinkt, sondern riecht oder duftet? Ein kleiner, aber nennenswerter Unterschied.
    Jedenfalls, um wieder zurück zum Thema zu kommen: Ich ging Mitte der neunziger Jahre in die siebte Klasse, als man noch Lichterketten gegen Ausländerhass bildete, »Migrationshintergrund« kein feststehender Begriff war, und Helmut Kohl noch regierte, so wie man es eben schon immer kannte, da schien so ein Buch im Lehrplan wohl zu reichen, um uns
Schülern zu sagen: Ach, die Türken, die sind doch gar nicht soooo schlimm.
    Und, um nun wirklich wieder zum Thema dieses Kapitels zu kommen: Auch wenn von diesen Lesereisen durch Hauptschulen noch viel zu berichten wäre, festzuhalten bleibt, dass nicht nur das Essen der afrikanischen Nachbarn, sondern auch das der russischen stinken kann, insbesondere anscheinend der Fisch. Nun ist es so, dass aus meiner wiederum recht russischen Sicht für diesen kurzen olfaktorischen Moment Sauerkrautgeruch an einem Sonntagmittag den Gang durch den Hausflur im Sommer auch nicht gerade angenehm macht, aber wir

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