Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)
war eine schräge, schreckliche Reise, aber ich glaube, du hast sie mir ein bisschen leichter gemacht, uns allen. Vergiss nicht, die Augen offen zu halten und vor allem auf Krankenwagen und Lebensmittelläden zu achten.
7. N OVEMBER 2009 – T ORE DES F EUERS
»This is the song that doesn’t end, yes it goes on and on my friend …«
»Oh, es endet durchaus«, sagt Renny und greift das Lenkrad wie ein LKW -Fahrer in der letzten Stunde seines Amphetaminrauschs. »Es endet damit, dass dein Schädel die Interstate entlangrollt und mein Reifen Hühnerklein aus deinem Dickdarm macht.«
»Kommt, Leute«, sage ich und reibe Rennys Schultern. »Wir sind fast da. Danach müsst ihr nie wieder einen Fuß in dieses Auto setzen.«
Eine Menge Dinge werden völlig normal, wenn man permanent um sein Leben fürchtet. So kommt es zu folgendem Phänomen: Wenn man ein Gefühl erlebt, das früher ganz selbstverständlich war, neigt man plötzlich dazu, es extrem wahrzunehmen. Deshalb kann ich nicht anders: Als wir das Schild sehen, auf dem früher Fort Morgan 45 stand , jetzt durchgestrichen und übermalt mit Liberty Village 45 , gerate ich in einen überwältigenden Rausch aus reinem, ekstatischen, Endorphin-überflutenden Frohsinn. Das ist Glück und Erlösung und das Gefühl, dass nach langer Zeit der Wunsch eines reinen Herzens doch in Erfüllung geht.
»Fünfundvierzig«, wiederholt Ted und macht einen Song daraus: »Motherfucking fourty-five miles, miles, miles, miles!«
Renny und ich haben die Plätze getauscht, damit die andere schlafen kann. Renny wollte Julian nicht fahren lassen, weil sie ihm nicht traut. Sie behauptet, dass nur Leute, die beide Hände zur Verfügung haben, ein Auto steuern können. Es scheint ihn nicht zu stören, und er hat den größten Teil der Strecke nach Colorado geschlafen. Wir sind alle müde und machen in der Sicherheit des Wagens ein Nickerchen nach dem anderen. Es fühlt sich gut an, auch wenn ich sterben würde für eine richtige Mahlzeit und eine Dusche.
Nach dem Passieren des Liberty-Village-Schildes sind wir alle hellwach. Wir sprechen nicht, sondern sitzen in ergriffenem Schweigen. Ich für meinen Teil kann gar nicht glauben, dass es wirklich wahr ist. Ich fürchte die ganze Zeit, die Stadt verschwindet wie ein Spuk, wenn ich die Augen schließe oder einschlafe. Der Ausblick verändert sich. Die wogenden Hügel der Plains des mittleren Westens weichen der bergigen Vielfalt von Colorado, eine Landschaft, die in Farbe und Form ihre eigene fremdartige Harmonie hat. Es gibt so viele Grüns und Graus, so viele neue Strukturen zu bewundern. Das Gemeinschaftsgefühl im Auto kommt mir vor wie ein Summen in der Luft. Ich brauche eine Weile, bis ich erkenne, was es eigentlich ist: Hoffnung.
Eine fürchterliche Zeit liegt hinter uns. Eine verschwitzte, verstimmte Autofahrt voller Klagen und Körpergeruch und missmutigem Schweigen, aber jetzt … Jetzt bringt die Zukunft unsere guten Seiten an den Tag.
»Das Erste, was ich mache, ist meine stinkende Unterwäsche zu wechseln«, bricht Julian das gespannte Schweigen.
»Ich hoffe, das wolltest du nicht laut sagen«, murmelt Renny.
»Freu dich doch mal, Renny«, sage ich. Und dann: »Das Erste, was ich mache, ist meine Mom finden und sie an mich drücken, bis sie um Gnade fleht.«
»Ich such mir ein Bett und werde darin schlafen «, sagt Ted. »Schlafen, bis es auseinanderfällt.«
»Ich lass mich erst mal zünftig flachlegen «, schreit Renny und drückt die Hupe.
»Amen!«, ruft Julian, und Ted stellt sein euphorisches Einverständnis zur Schau. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Jede Euphorie, die ich angesichts der Lage empfinden könnte, ist zugleich gedämpft von dem Wissen, dass ich nicht wirklich bereit bin, Collin loszulassen, noch nicht. Ich werde meine Mutter finden, und sie wird die bestmögliche Ablenkung sein. Trotzdem kann ich die nagende Leere in mir spüren, die Angst, die sagt: Du bist gezeichnet, gezeichnet von etwas, das du niemals rückgängig machen kannst. Du vermisst ihn.
Ich sehe mich im Auto um. Gott, verdammt. Sie lachen, lachen miteinander , gackern wie ein Haufen Wohlfühlidioten am Ende einer Episode von Drei Mädchen und drei Jungen . Es ist fantastisch, wirkt so ansteckend, dass ich nicht anders kann, als mit einzusteigen.
»Was ist das?«, fragt Julian plötzlich. Er deutet nach vorn, auf etwas, das ein paar Kilometer entfernt die Interstate blockiert.
Das Leben, sagt man, ist nie so einfach, wie es
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