Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)
dass es jenseits des Grabes Leben gibt …«
»Eine Art Leben.«
»Richtig, eine Art Leben. Interessiert sich deshalb jemand ein bisschen mehr für diesen ganze Himmel-und-Hölle-Krams?«
Julian und ich halten vor dem Verbrauchermarkt an der 235. Straße Wache. Des Moines ist eine Geisterstadt, ein unheimliches, stilles Gegenstück zu dem Chaos in Iowa City. Renny füllt drinnen ein paar Einkaufstüten mit Chips und Getränken. Hier wurde schon geplündert, aber wir haben gelernt, die Lagerräume solcher Orte zu durchsuchen und die verschlossenen Türen aufzubrechen, hinter denen sich oft noch ein paar Kisten Wasser, Cola oder Saft verbergen. An solchen Orten kann man die Panik förmlich spüren. Genau aus diesem Grund bat uns Renny, draußen zu bleiben. Julian und ich haben an der letzten Tankstelle wohl ein bisschen zu viel CSI : Des Moines gespielt.
Aus den Blutspuren zu schließen, die zum Pausenraum der Angestellten führen, muss sie hier die volle Wucht des Angriffs getroffen haben.
Was siehst du noch, Greg?
Nun, Grissom, da sind Fingerabdrücke an der Tür, als hätte jemand versucht, sich hindurchzukrallen. Sie muss verschlossen gewesen sein. Ich werde dieses Zahnfragment der Spurensicherung übergeben. Es könnten Maischips sein, die in der Krone stecken.
Oh Greg, du bist so herrlich scharfsinnig und deiner Zeit so weit voraus. Du bist der liebenswerte Padawan dieses bunt gemischten und emotional verkrüppelten Eliteteams von Wissenschaftlern. Und du wirst nie die Liebe erfahren, denn niemand verabredet sich mit einem Kerl, der sein Haar so trägt.
Danke, Griss! Du bist ein harter, aber wohlmeinender Papa Bär in meinem Leben.
Keine Ursache, Greg. Jetzt hör auf zu quatschen, und nimm einen Schluck aus dieser Urinpfütze.
Tja. Ihr versteht jetzt wohl, warum Julian und ich mit dem Wachdienst betraut wurden.
»Ich bin nicht neugierig auf den Himmel«, erkläre ich. »Ich bin auf überhaupt nichts neugierig außer auf Nahrung. Gib mir nur etwas zu essen, dann sehen wir weiter.«
Julian lässt mich auf der Bordsteinkante sitzen (mit ›er lässt mich‹ meine ich natürlich, dass er so lange herumquengelt, bis ich mich füge), damit er Erste Hilfe an mir exerzieren kann. Im ersten Verbrauchermarkt gab es keine Pflaster und keine antibiotische Salbe mehr. Dafür war der Laden – warum auch immer – zugestopft mit Werbetafeln voller geschmackloser Wortspiele, die Julian voll in Anspruch nahmen. Dankenswerterweise hat sich die kindliche Freude an Werbe-Wortspielen seit etwa fünfundvierzig Minuten endlich abgenutzt. Nun ist Julian wieder dabei, sich über meinen Gesundheitszustand aufzuregen. Sicher, die Schnitte stechen, und mein Knöchel fühlt sich an, als hätte eine Elefantenherde Polka darauf getanzt, aber es könnte schlimmer sein. Es könnte mir gehen wie Ted.
»Werden wir jemals seine Verbände wechseln?«, frage ich. Mein Blick wandert zur Limousine, in der Ted immer noch schläft. Wir haben seine Binden seit der Operation nicht mehr erneuert.
»Sicher. Ich kann das machen, wenn du Angst hast, dir das anzusehen«, antwortet Julian.
Die Sonne scheint und nimmt dem steifen Novemberwind seine Schärfe. Julian sieht warm genug aus. Er hat sich an der letzten Tankstelle eine scheußliche Windjacke geschnappt. Es überrascht nicht, dass sie beim Plündern zurückgeblieben ist. Sie ist kotzgrün mit einem kleinen heulenden Wolf auf die linke Seite gestickt. Über den kleinen und baumlosen Parkplatz pfeift es, als befänden wir uns inmitten der Prärie. Gras wächst in unmöglichen Winkeln aus den Rissen im Pflaster, braun und kurz, als habe es erst nicht erwarten können, durch das Pflaster zu brechen, sich bei der heraufziehenden Kälte aber eines Besseren besonnen. Ich kann mir fast vorstellen, wie der Platz aussieht, wenn er vollständig vom Gras überwuchert ist und die Erde ihn zurückerobert hat. Ein Teil von mir wäre nicht überrascht, einen Stegosaurus oder eine Herde Büffel von der Interstate herunterwandern zu sehen.
»Warum glaubst du eigentlich die ganze Zeit, dass ich Angst habe? Muss ich ein gottverdammtes Feuerschwert schlucken, damit du das mal lässt, oder was? Autsch! Scheiße, Jules.«
»Halt still«, sagt er. »Generell gesagt, glaube ich gar nicht, dass du Angst hast. Aber ich glaube , dass es dir gar nicht gefällt, mit Teds Sterblichkeit konfrontiert zu werden.«
»Du wirst immer gleich philosophisch. Ich nehme es zurück, ich brauche kein Essen. Und um deine Frage zu
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