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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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und dem Knie wollte er es zurückziehen, stellte aber fest, dass sich zwar sein Bein bewegte, aber der Fuß nicht. Er erweiterte nur den Einschnitt der Axt und bewirkte, dass er sich öffnete wie ein Mund. Er hatte gerade noch genügend Zeit zu erkennen, dass sein Fuß jetzt nur noch durch das Fleisch des Unterschenkels mit dem Bein verbunden war, da sauste die Axt erneut herab, direkt in den klaffenden Schnitt; sie hieb durch den Rest seines Beines und vergrub sich tief in der Matratze. Die Bettfedern ächzten und quietschten.
    Annie zog die Axt heraus und warf sie beiseite. Sie blickte einen Augenblick abwesend auf den blutenden Stumpf, dann griff sie nach der Packung mit den Streichhölzern. Sie zündete eins an. Dann nahm sie den Propanbrenner mit dem Wort Bernz-O-matiC auf der Seite und öffnete das Ventil. Das Gas fauchte. Blut strömte aus der Stelle, wo sein Fuß nicht mehr war. Annie hielt das Streichholz vorsichtig unter die Düse des Bernz-O-matiC . Es machte fuuff! Eine lange, gelbe Flamme erschien. Annie stellte ihn so ein, dass er mit kräftigem, blauem Feuer brannte.

    »Kann nicht zunähen«, sagte sie. »Keine Zeit. Aderpresse geht auch nicht. Kein zentraler Druckpunkt. Muss
    (nachwischen)
    ausbrennen.«
    Sie bückte sich. Paul schrie, als die Flamme über den rohen und blutenden Stumpf leckte. Rauch stieg auf. Er roch süßlich. Er und seine erste Frau hatten die Flitterwochen auf Maui verbracht. Dort hatten sie ein Luau-Fest besucht. Dieser Geruch erinnerte ihn an den Geruch des Schweins, als sie es aus der Grube geholt hatten, wo es den ganzen Tag gegart hatte. Das Schwein war an einem Spieß befestigt gewesen, es war schlaff, schwarz und fiel auseinander.
    Die Schmerzen schrien. Er schrie.
    »Fast vorbei«, sagte sie und drehte das Ventil, und jetzt fing das Laken Feuer unter dem Stumpf, der nicht mehr blutete, dem Stumpf, der so schwarz war wie die Haut des Schweins, als sie es aus der Luau-Grube geholt hatten - Eileen hatte sich abgewendet, aber Paul hatte fasziniert zugesehen, wie sie die knisternde Haut des Schweins so mühelos abgezogen hatten, wie man das Trikot nach einem Footballspiel abstreifte.
    »Fast vorbei …«
    Sie schaltete den Brenner aus. Sein Bein lag in einer Flammenlinie, sein abgetrennter Fuß war flackernd dahinter zu erkennen. Sie bückte sich, und diesmal hob sie seinen alten Freund auf, den gelben Putzeimer. Sie schüttete den Inhalt über die Flammen.
    Er schrie, schrie. Die Schmerzen! Die Göttin! Die Schmerzen! O Afrika!
    Sie sah ihn und das dunkle, blutige Laken mit vager Fassungslosigkeit an - ihr Gesicht war das Gesicht einer Frau,
die im Radio hört, dass ein Erdbeben in Pakistan oder der Türkei Tausende Menschenleben gefordert hat.
    »Sie werden schon wieder, Paul«, sagte sie, aber plötzlich klang ihre Stimme ängstlich. Ihr Blick huschte unablässig umher, genau wie damals, als es so ausgesehen hatte, als würde das Feuer seines brennenden Buches außer Kontrolle geraten. Plötzlich richtete ihr Blick sich fast erleichtert auf etwas. »Ich werde den Abfall wegschaffen.«
    Sie hob seinen Fuß auf. Die Zehen zuckten noch immer. Sie trug ihn durchs Zimmer. Als sie bei der Tür angekommen war, hatten die Zehen aufgehört, sich zu bewegen. Er sah eine Narbe an der Sohle und erinnerte sich, dass er sich die geholt hatte, als er als Kind in eine Glasscherbe getreten war. War das am Revere Beach gewesen? Ja, er glaubte schon. Er hatte geweint, und sein Vater hatte ihm gesagt, dass es nur ein kleiner Schnitt war. Sein Vater hatte ihm gesagt, er solle aufhören, sich wie jemand zu benehmen, dem gerade der Fuß abgehackt worden war. Annie blieb in der Tür stehen und drehte sich zu Paul um, der kreischte und sich auf dem verkohlten, blutgetränkten Laken wand; sein Gesicht war totenbleich.
    »Jetzt sind Sie gehobbelt«, sagte sie. »Und machen Sie mir deswegen keine Vorwürfe. Sie sind selbst schuld daran.«
    Dann war sie fort.
    Und Paul ebenfalls.

23
    Die Wolke war wieder da. Paul tauchte hinein, und es war ihm einerlei, ob sie diesmal Tod und nicht nur Bewusstlosigkeit bedeutete. Er hoffte fast, es wäre der Tod. Nur … keine Schmerzen, bitte. Keine Erinnerungen, keine Schmerzen, keine Gräuel, keine Annie Wilkes.
    Er tauchte nach der Wolke, tauchte in die Wolke, in weiter Ferne hörte er leise seine eigenen Schreie und roch den Geruch seines eigenen gerösteten Fleisches.
    Während seine Gedanken verblassten, dachte er: Göttin! Töte dich! Göttin! Töte dich!

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