Sie
Paul!«
»Beim zweiten Mal wollte ich nur etwas zu essen holen und sichergehen, dass es noch weitere Vorräte gab, für den Fall, dass Sie länger wegbleiben sollten«, fuhr er fort, ohne sie zu beachten. »Dann bekam ich Durst. Und das ist alles. Keine große Verschwörung.«
»Ich nehme an, Sie haben niemals das Telefon ausprobiert oder sich die Schlösser angesehen - Sie sind ja so ein lieber guter Junge.«
»Natürlich habe ich das Telefon probiert. Natürlich habe ich mir die Schlösser angesehen … nicht, dass ich in dem Schlammbad dort draußen sehr weit gekommen wäre, selbst wenn Ihre Türen sperrangelweit offen gestanden hätten.« Die Droge setzte ihm in immer heftigeren Schüben zu, und er wünschte sich, sie würde einfach den Mund halten und weggehen. Die Dosis, die sie ihm gegeben hatte, war so stark, dass er ihr die Wahrheit sagte - er fürchtete, bald würde er die Folgen zu spüren bekommen. Aber zuerst wollte er schlafen.
»Wie oft waren Sie draußen?«
»Ich habe Ihnen gesagt …«
»Wie oft?« Ihre Stimme schwoll an. »Sagen Sie die Wahrheit!«
»Das tue ich! Dreimal!«
»Wie oft, gottverdammt?«
Trotz der Wagenladung Drogen, die sie ihm verpasst hatte, begann Paul Angst zu haben.
Wenn sie mir etwas antut, dann wird es wenigstens nicht allzu wehtun … und sie möchte, dass ich das Buch zu Ende schreibe … das hat sie gesagt …
»Sie behandeln mich wie eine Närrin.« Er stellte fest, wie glänzend ihre Haut war, wie Plastikfolie, die straff über einen Stein gespannt wurde. Ihr Gesicht schien überhaupt keine Poren zu haben.
»Annie, ich schwöre …«
»Oh, Lügner können schwören! Lügner lieben es zu schwören! Machen Sie nur weiter und behandeln Sie mich wie eine Närrin, wenn Sie das möchten! Prima. Guti-guti für Sie. Behandle eine Frau, die keine Närrin ist, getrost wie eine, und diese Frau wird am Ende immer die Oberhand
behalten. Ich will Ihnen etwas sagen, Paul - ich habe überall im Haus Haare von meinem Kopf als Fäden gespannt, und ich habe später festgestellt, dass viele zerrissen waren. Zerrissen oder völlig verschwunden … einfach weg … paff! Nicht nur in meinem Notizbuch, auch auf diesem Flur und über meinen Kommodenschubladen im oberen Stock und im Schuppen … überall.«
Annie, wie sollte ich bei all den Schlössern an der Küchentür denn in den Schuppen gelangen können?, wollte er sie fragen, aber sie ließ ihm keine Zeit dazu, sondern fuhr unbeirrt fort.
»Und jetzt machen Sie getrost so weiter und erzählen mir, dass es nur dreimal gewesen ist, Mister Neunmalklug, dann werde ich Ihnen erzählen, wer hier der Narr ist.«
Er sah sie benommen, aber erschrocken an. Er wusste nicht, was er ihr antworten sollte. Es war alles so paranoid … so verrückt …
Mein Gott, dachte er und vergaß plötzlich den Schuppen, im oberen Stock? Hat sie IM OBEREN STOCK gesagt?
»Annie, wie in Gottes Namen sollte ich nach oben kommen?«
»Oh, RICHTIG! «, schrie sie mit sich überschlagender Stimme. »Oh, SICHER! Ich kam vor ein paar Tagen hier herein, da konnten Sie ganz allein in Ihren Rollstuhl klettern! Wenn Sie das können, dann können Sie auch nach oben! Sie könnten kriechen! «
»Ja, auf meinen gebrochenen Beinen und dem zertrümmerten Knie«, sagte er.
Wieder dieser schwarze Ausdruck der Kluft; die pechschwarze Finsternis unter der Wiese. Annie Wilkes war fort. Die Bienengöttin der Bourkas war da.
»Sie werden doch nicht vorlaut zu mir sein, Paul«, flüsterte sie.
»Nun, Annie, einer von uns sollte versuchen, vernünftig zu sein, und Sie sind gerade nicht besonders gut darin. Wenn Sie nur versuchen würden, einzusehen, wie ver…«
»Wie oft?«
»Dreimal.«
»Das erste Mal, um Medikamente zu holen.«
»Ja. Novrilkapseln.«
»Und das zweite Mal, um Essen zu holen.«
»Ganz recht.«
»Das dritte Mal, um den Krug aufzufüllen.«
»Ja. Annie, mir ist so schwindlig …«
»Sie haben ihn im Badezimmer hier unten aufgefüllt.«
»Ja …«
»Einmal für Medizin, einmal für Essen, einmal für Wasser.«
»Ja, das habe ich doch gesagt!« Er versuchte zu brüllen, aber es kam nur ein kraftloses Krächzen heraus.
Sie griff wieder in die Rocktasche und holte das Fleischermesser heraus. Die Klinge funkelte im heller werdenden Morgenlicht. Plötzlich drehte sie sich nach links und warf das Messer. Sie warf es mit der tödlichen, fast beiläufigen Anmut einer Zirkuskünstlerin. Es blieb zitternd in der Wand unter dem Bild des Triumphbogens
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