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ERINNERUNG lautete der Titel. Die Straße der Erinnerung zu beschreiten, wenn man Depressionen hat, ist nie eine gute Idee, Annie - aber ich nehme an, das weißt du mittlerweile selbst gut genug.
Er rollte durchs Zimmer. Direkt voraus befand sich die Küche. Rechts führte ein breiter Flur zu Annies Eingangstür. Daneben führte eine Treppe ins Obergeschoss hinauf.
Er sah nur einmal kurz zur Treppe (Tropfen von Eis waren auf dem Teppichboden einiger Stufen zu sehen, Schlieren von Glasur am Geländer), dann rollte Paul zur Tür. Paul dachte, wenn es einen Weg nach draußen für ihn gab, an den Rollstuhl gefesselt, wie er war, dann wahrscheinlich durch die Küchentür - durch die Annie hinausging, wenn sie die Tiere fütterte, durch die sie hinausgaloppierte, wenn Mr. Rancho Grande aufkreuzte - dennoch sollte er diese hier überprüfen. Vielleicht erlebte er eine Überraschung.
Tat er nicht.
Die Stufen der Veranda waren so steil, wie er befürchtet hatte, aber selbst wenn es eine Rollstuhlrampe gegeben hätte (eine Möglichkeit, die er bei dem Spiel Kannst du? niemals akzeptiert hätte, selbst wenn ein Freund von ihm sie vorgeschlagen haben würde), so hätte er sie nicht benutzen können. An der Tür befanden sich drei Schlösser. Mit dem Riegel wäre er klargekommen. Die beiden anderen waren Kreigs, die besten Schlösser auf der ganzen Welt, seinem Freund, dem Expolizisten Tom Twyford, zufolge. Und wo waren die Schlüssel? Hmmm … mal sehen. Vielleicht unterwegs zu Annies Lachplatz? Jawoll, Bob! Gebt dem Mann eine Zigarre und einen Flammenwerfer, um sie damit anzuzünden!
Er drehte um und rollte den Flur zurück, wobei er seine Panik niederkämpfte und sich daran erinnerte, dass er sich von der Eingangstür sowieso nicht viel versprochen hatte. Im Wohnzimmer drehte er den Rollstuhl und rollte in die Küche. Es handelte sich um einen altmodischen Raum mit hellrotem Linoleum auf dem Boden und einer Decke aus verzierten Zinnpaneelen. Der Kühlschrank war alt, aber leise. Drei oder vier Magnete hafteten an der Tür - es
überraschte ihn nicht, dass sie alle wie Süßigkeiten aussahen: eine Kaugummikugel, ein Hershey-Schokoriegel, ein Tootsie-Roll-Bonbon. Eine Schranktür war offen, er sah Fächer, die fein säuberlich mit Wachstuch ausgelegt waren. Über der Spüle befanden sich große Fenster, die selbst an wolkenverhangenen Tagen genügend Licht einfallen ließen. Es hätte eine heitere Küche sein sollen, war es aber nicht. Der offene Mülleimer war so voll, dass Abfall auf den Boden gefallen war, und gab den warmen Geruch von faulenden Lebensmitteln von sich, aber das war nicht der einzige Missstand und bei Weitem nicht der schlimmste Geruch. Es gab noch einen anderen, der fast ausschließlich in seiner Vorstellung zu existieren schien, der aber deswegen nicht weniger wirklich war. Es handelte sich um Parfum de Wilkes , den psychotischen Geruch der Besessenheit.
Der Raum hatte drei Türen, zwei links und eine direkt vor ihm, zwischen dem Kühlschrank und dem Alkoven der Vorratskammer.
Er wandte sich zunächst denen zu seiner Linken zu. Eine war die Küchenkammer - das wusste er, noch bevor er die Mäntel, Hüte, Schals und Stiefel sah. Das kurze Quietschen der Tür hatte es ihm bereits verraten. Die andere war die, durch die Annie hinausging. Auch hier ein Riegel und zwei Kreigs. Roydmans, draußen bleiben. Paul, drinnen bleiben.
Er stellte sich vor, wie sie lachte.
»Du verdammtes Miststück! « Er hämmerte mit der Faust gegen die Tür. Es tat weh, und er presste die Handkante auf den Mund. Er hasste das Brennen der Tränen, das Verschwimmen seiner Sicht, als er blinzelte, aber er konnte nichts dagegen tun. Die Panik jammerte nun lauter in ihm
und fragte ihn, was er zu tun gedachte, was er zu tun gedachte, um Himmels willen, dies konnte seine letzte Chance sein …
Was ich als Erstes tun werde, ist, gründlich über diese Situation nachzudenken, sagte er grimmig zu sich selbst. Das heißt, wenn du noch eine Weile ruhig bleiben kannst. Glaubst du, dass du das schaffst, du Schisser?
Er rieb sich die Augen - weinen würde ihm nicht hier heraushelfen - und sah durch das Fenster hinaus, welches die obere Hälfte der Tür bildete. Es war eigentlich kein einzelnes Fenster, sondern sechzehn kleine Scheiben. Er konnte das Glas jeder einzelnen zerschmettern, aber das Fenstergitter zu entfernen konnte ohne Säge Stunden dauern - es machte einen stabilen Eindruck. Und was dann? Einen Kamikazesprung die hintere
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